Geschichte des Westens
SA und SS, das die Regierung Brüning am 13. April 1932 verhängt hatte, wurde aufgehoben und das seit Dezember 1931 verbotene Tragen von Uniformen allgemein wieder zugelassen.
Am selben Tag, dem 16. Juni 1932, begann in Lausanne die Reparationskonferenz, die eigentlich schon im Januar hatte stattfinden sollen, auf Brünings Ersuchen hin jedoch vertagt worden war. Papen konnte nun die Früchte der Durchhaltepolitik seines Vorgängers ernten: Das Abkommen, das der neue Kanzler am 9. Juli unterzeichnete, sah eine deutsche Abschlußzahlung von höchstens 3 Milliarden Reichsmark vor, die frühestens nach Ablauf von drei Jahren und innerhalb eines längeren Zeitraums in Form von Reichsschuldverschreibungen zu zahlen waren – vorausgesetzt, daß das wirtschaftliche Gleichgewicht inzwischen völlig wiederhergestellt war. Die Ratifizierung des Abkommens durch die Parlamente in Paris, London und Rom hing zwar noch davon ab, ob sich die Vereinigten Staaten zu einer befriedigenden Regelung der interalliierten Schulden bereit fanden. Tatsächlich trat das Abkommen von Lausanne de jure nie in Kraft. De facto bedeutete es das Ende sowohl der deutschen Reparationen als auch der interalliierten Kriegsschulden.
Die Regierung von Papen hatte mit dem Ergebnis der Konferenz von Lausanne einen außenpolitischen Erfolg errungen, der aber nur von der liberalen Presse und den Sozialdemokraten als solcher gewürdigt wurde, also keine innenpolitische Beruhigung bewirkte. Der Reichstagswahlkampf vom Sommer 1932 war der blutigste, den Deutschland je erlebt hatte. Die meisten Gewalttaten gingen auf das Konto von Kommunisten und Nationalsozialisten. Unmittelbar nach Aufhebung des SA-Verbots kam es in vielen Gebieten des Reiches, besondershäufig im Industrierevier an Rhein und Ruhr, zu blutigen Zusammenstößen politischer Gegner. In der ersten Junihälfte starben in Preußen drei Menschen bei politischen Ausschreitungen, und zwar zwei Nationalsozialisten und ein Kommunist. In der zweiten Hälfte des Monats, nach Aufhebung des SA- und Uniformverbots, stieg die Zahl der politisch motivierten Todesfälle auf 17 an, darunter 12 auf nationalsozialistischer und 5 auf kommunistischer Seite. Unter den 86 Toten des Julis waren 38 Nationalsozialisten und 30 Kommunisten. Besonders blutig verliefen regelmäßig die Sonntage. Am 10. Juli etwa gab es im gesamten Reichsgebiet 17 Tote, 10 tödlich Verletzte und 181 Schwerverletzte.
Der Zusammenhang zwischen der Aufhebung des SA-Verbots und der Eskalation der Gewalt war offenkundig. Dennoch machte das Kabinett von Papen die preußische Polizei und damit die geschäftsführende Regierung des größten Staates für den Straßenterror verantwortlich. In der Kabinettssitzung vom 11. Juli verlangte Reichsinnenminister von Gayl erstmals die Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen und empfahl dem Reichskanzler, dieses Amt selbst zu übernehmen und dann Unterkommissare zu ernennen. Die Reichsregierung stimmte dem Vorschlag zu und setzte tags darauf als Termin der Reichsexekution gegen Preußen den 20. Juli fest. Der preußische Innenminister, der Sozialdemokrat Carl Severing, durchkreuzte diese Planung jedoch, als er durch einen Erlaß vom 12. Juli ein Verbot von Versammlungen und Aufzügen unter freiem Himmel erleichterte und die Polizei zu schärfstem Vorgehen gegen unbefugtes Waffentragen anhielt. Dem Schlag gegen Preußen war damit fürs erste der Boden entzogen.
Daß die Reichsregierung ihren ursprünglichen Zeitplan doch noch einhalten konnte, lag am «Blutsonntag von Altona», dem 17. Juli. Eine ungewöhnliche Häufung von politischen, administrativen und polizeilichen Fehlentscheidungen trug mit dazu bei, daß ein Demonstrationsmarsch der SA durch «rote» Hochburgen der (damals noch preußischen) Stadt 19 Tote aus der Zivilbevölkerung forderte – die meisten von ihnen Opfer von Kugeln der Polizei. Da Severing es unterließ, sofort den Ausnahmezustand über Altona zu verhängen und dadurch Stärke zu demonstrieren, konnte die Reichsregierung nun von sich aus tätig werden. Ohne Absprache mit den Ländern erließ sie am 18. Juli ein allgemeines Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel und bestellte drei preußische Kabinettsmitglieder, WohlfahrtsministerHirtsiefer vom Zentrum, der den krankheitshalber beurlaubten Ministerpräsidenten Otto Braun vertrat, Innenminister Severing und den parteilosen Finanzminister Klepper für den 20. Juli, 10 Uhr, in die Reichskanzlei ein.
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