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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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die Generation der Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs beschränkt. Die Erringung der kulturellen Hegemonie in England lag jenseits ihrer Möglichkeiten. «Bloomsbury», die Hochburg und der Inbegriff des linksintellektuellen England, war im Zweifelsfall immer noch einflußreicher als der Zirkel um die «English Review»; der Left Book Club des Verlegers Victor Gollancz hatte mit 50.000 Abonnenten eine größere Ausstrahlung als die rechte Gegengründung, der 1937 gegründete Right Book Club, der auf 10.000, höchstens aber 20.000 Abonnenten kam.
    Die Unterschiede zwischen Großbritannien und Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre hatten ihren tieferen Grund in unterschiedlichen politischen Traditionen im allgemeinen und in der unterschiedlichen Beharrungskraft des politischen Liberalismus im besonderen. Während in Deutschland die Wähler der liberalen Parteien zwischen 1930 und 1933 fast ausnahmslos zu den Nationalsozialisten abwanderten, war es dem englischen Liberalismus längst gelungen, die Konservativen und die Labour Party gewissermaßen zu unterwandern. Der Niedergang der Liberalen Partei bedeutete folglich nicht den Untergang des englischen Liberalismus. Er lebte in den beiden großen Parteien fort und blieb auch in der Krise nach 1929 die politisch prägende Kraft des Vereinigten Königreichs und ein Unterpfand der Kontinuität seiner Institutionen.[ 30 ]
Weimars Untergang: Hitlers Weg an die Macht
    Am Abend des 1. Juni 1932 erschien der sozialdemokratische «Vorwärts» mit einer Schlagzeile, die in die Geschichtsbücher einging: «Das Kabinett der Barone». Der Regierung, die dem Kabinett des gestürzten Heinrich Brüning folgte, gehörten ein Graf, vier Freiherren, zwei weitere Adelige und nur drei «Bürgerliche» an. An der Spitze stand ein von General Kurt Schleicher, dem neuen Reichswehrminister, ausgesuchter Politiker: Franz von Papen, ein 1879 geborener ehemaliger Generalstabsoffizier und Militärattaché an der deutschen Botschaft in Washington, westfälischer Gutsbesitzer, Herrenreiter, Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Zentrumszeitung «Germania» sowie Vorstandsmitglied mehrerer landwirtschaftlicher Organisationen, der überdies durch seine Frau eng mit der saarländischen Schwerindustrie verbunden war.
    Bis zur Wahl vom 24. April 1932 hatte Papen dem preußischen Landtag als einer der am weitesten rechts stehenden Hinterbänkler der Zentrumsfraktion angehört. Die Parteimitgliedschaft des Reichskanzlers sollte nach Schleichers Kalkül das katholische Zentrum in ähnlicher Weise an die neue Regierung binden, wie das unter Brüning der Fall gewesen war. Der Vorsitzende des Zentrums, Prälat Kaas, machte Papen jedoch am 31. Mai, unmittelbar nachdem dieser von Reichspräsident von Hindenburg mit der Regierungsbildung beauftragt worden war, klar, daß es das Zentrum als Verrat betrachten würde, wenn dieser tatsächlich die Nachfolge des gestürzten Brüning antreten sollte. Von Hindenburg «am Portepee» gefaßt, entschied sich Papen für das Kanzleramt und trat aus dem Zentrum aus. Ihre bisherige Partei verließen auch, um der Regierung eine Aura der Überparteilichkeit zu verschaffen, die deutschnationalen Kabinettsmitglieder, Innenminister Wilhelm Freiherr von Gayl, Ernährungsminister Magnus Freiherr von Braun und Justizminister Franz Gürtner. Den Deutschnationalen nahe standen Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath, zuvor deutscher Botschafter in London, und Finanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk. Als «starker Mann» der Regierung galt allgemein Reichswehrminister von Schleicher.
    Am 4. Juni, zwei Tage nach der Ernennung des Kabinetts von Papen, erfüllte Hindenburg eine der Bedingungen, die Hitler an die Duldungder neuen Regierung geknüpft hatte: Er löste den Reichstag auf und setzte als Neuwahltermin den 31. Juli fest. Am 14. Juni unterzeichnete der Reichspräsident die erste Notverordnung des Kabinetts von Papen. Sie beruhte auf Vorarbeiten der Regierung Brüning und brachte in der Arbeitslosenversicherung eine Senkung der Unterstützungssätze um durchschnittlich 23 Prozent und eine Kürzung der Betreuungszeit von 20 auf 6 Wochen. Danach erlosch praktisch jeder versorgungsähnliche Anspruch; an seine Stelle trat ein Fürsorgesystem auf einem Niveau weit unterhalb dessen, was man gemeinhin «Existenzminimum» nannte. Zwei Tage später löste die Regierung eine andere Zusage ein, die Schleicher am 4. Juni Hitler gegeben hatte: Das Verbot von

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