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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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drei Ministern von Papen bei dieser Gelegenheit mitgeteilt wurde, war der «Preußenschlag». Gestützt auf Artikel 48 der Verfassung, ernannte der Reichspräsident den Reichskanzler zum Reichskommissar für Preußen und ermächtigte ihn, die Mitglieder des preußischen Staatsministeriums ihrer Ämter zu entheben, selbst die Dienstgeschäfte des preußischen Ministerpräsidenten zu übernehmen und andere Personen als Kommissare des Reichs mit der Führung der preußischen Ministerien zu betrauen. Sodann gab Papen bekannt, daß er auf Grund der Verordnung den Ministerpräsidenten Braun und den Minister des Innern Severing ihrer Ämter enthoben und den Essener Oberbürgermeister Franz Bracht zum preußischen Innenminister ernannt habe.
    Die geschäftsführende preußische Regierung antwortete mit einer Klage beim Staatsgerichtshof beim Reichsgericht in Leipzig, da die Maßnahmen des Reichs sowohl die Reichs- als auch die preußische Verfassung verletzten. Das Volk aber oder die arbeitenden Massen riefen die preußische Regierung, die SPD, die Freien Gewerkschaften und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold nicht zum Abwehrkampf gegen den «Preußenschlag» auf. Die sozialdemokratische Parole lautete vielmehr, dem «Kabinett der Barone» müsse die Antwort bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli gegeben werden. Vor allem junge Aktivisten aus dem Reichsbanner waren empört über den Verzicht auf Widerstand, weil sie darin eine Kapitulation vor der Gewalt sahen – ein Urteil, das sein Echo auch in der Geschichtsschreibung gefunden hat.
    Doch für das Verhalten der Sozialdemokratie gab es triftige, ja zwingende Gründe. Die Mehrheit des Volkes stand nicht mehr hinter der preußischen Regierung; sie hatte ihr bei der Wahl vom 24. April das Vertrauen entzogen und damit dem demokratischen Legitimitätsbewußtsein der SPD einen schweren Schlag versetzt. Bei einer Massenarbeitslosigkeit, die im Juni 1932 offiziell bei 5,5 Millionen, in Wirklichkeit noch um einiges höher lag, war ein Generalstreik undenkbar. Insofern war die Situation im Juli 1932 eine völlig andere als beim Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920: Damals herrschte in Deutschland annähernde Vollbeschäftigung. Zu jener Zeitwußten sich die Streikenden zudem in Übereinstimmung mit der legitimen Staatsgewalt. Der «Preußenschlag» aber war vom kurz zuvor vom Volk gewählten Reichspräsidenten angeordnet worden. Zu erwarten, daß sich eine größere Zahl von Beamten und Polizisten gegen ihn erheben würde, wäre nicht realistisch gewesen.
    Es kam hinzu, daß die Arbeiterschaft tiefer denn je in sich gespalten war. Im Sommer 1931 hatten die Kommunisten, um die preußische Koalitionsregierung zu Fall zu bringen, einen von der nationalistischen Rechten initiierten, letztlich erfolglosen Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtags unterstützt. Ein gemeinsamer Kampf von SPD und KPD für die Wiedereinsetzung der Regierung Braun war schlechthin unvorstellbar, die Frage der Kommunisten an Sozialdemokraten und Freie Gewerkschaften vom 20. Juli, ob sie zum Generalstreik bereit seien, daher nur eine rhetorische. Für einen bewaffneten Widerstand gegen die Reichswehr war das Reichsbanner im übrigen weder militärisch noch psychologisch gerüstet. In dieser Hinsicht war der republikanische Wehrverband auch den paramilitärischen Organisationen der Rechten, SA, SS und Stahlhelm, unterlegen, die mit Sicherheit aktiv an einem Kampf gegen die «Marxisten» teilgenommen hätten. Einen Bürgerkrieg konnte die demokratische Linke im Sommer 1932 nur unter furchtbarsten Opfern verlieren.
    Die Gründe dieses Dilemmas reichen weit hinter das Jahr 1932 zurück. Die Hinnahme des Preußenschlags war
auch
eine Folge der zwanzig Monate währenden Tolerierungspolitik und der langjährigen führenden Beteiligung der SPD an der preußischen Regierung. Regierungspartei zu sein, formell in Preußen und informell im Reich, und gleichzeitig Bürgerkriegspartei im Wartestand: Das war objektiv unmöglich. Die SPD büßte am 20. Juli 1932 die Reste der Macht ein, die sie nur deshalb so lange hatte behaupten können,
weil
sie seit dem Herbst 1930 alles auf eine Karte gesetzt hatte: die Abwehr des Nationalsozialismus auf dem Boden der Verfassung und im Bunde mit den gemäßigten Kräften des Bürgertums. Als die Sozialdemokratie sich für diese Politik entschied, blieb sie sich selbst treu: Ihr Legalitätskurs entsprang der Absicht, dem Bürgerkrieg, in dem sie

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