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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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80,6 Prozent am 6. November 1932 auf jetzt 88,8 Prozent.
    Dem Wahlsieg Hitlers folgte, was die Nationalsozialisten die «nationale Revolution» nannten. Eines ihrer wichtigsten Ergebnisse war die «Gleichschaltung der Länder»: die Ersetzung rein bürgerlicher oder von den Sozialdemokraten mitgetragener Landesregierungen durch nationalsozialistisch geführte Kabinette. Die «Gleichschaltung» war ein Produkt kombinierten Drucks von «oben», durch Reichsinnenminister Frick, und von «unten», durch die Sturmkolonnen der SA und SS. Am längsten dauerte der Machtwechsel in der Hochburg des deutschen Föderalismus, in Bayern. Seit dem 16. März regierten auch in München die Nationalsozialisten.
    Parallel zur Gleichschaltung der Länder vollzog sich die Eroberung der Macht in Städten und Gemeinden. SA und SS besetzten die Rathäuser, nahmen vielerorts «marxistische», das heißt sozialdemokratische Gemeinderäte fest und zwangen Bürgermeister und Oberbürgermeister, die ihnen nicht genehm waren, zum Rücktritt. Denselben Übergriffen waren Arbeitsämter und Ortskrankenkassen ausgesetzt.
    Viele, aber längst nicht alle festgenommenen politischen Gegner wurden der Polizei überstellt. Häufig übernahmen SA und SS den «Strafvollzug» in eigene Regie. In Berlin und Umgebung entstanden kurz nach der Reichstagswahl die ersten «wilden» Konzentrationslager, in denen gnadenlos mit den «Bolschewisten» abgerechnet wurde. Noch im März 1933 folgten, beginnend mit dem bayerischen Dachau, die ersten offiziellen Konzentrationslager. In diese von SA und SS kontrollierten Lager wurden nicht nur Kommunisten, sondern zunehmend auch Sozialdemokraten und andere Gegner des Regimes eingeliefert. Ende Juli 1933, als der Terror der SA bereits abgeflaut war, gab es amtlichen Angaben zufolge im ganzen Reich 27.000 «Schutzhäftlinge». Die Zahl derer, die in den ersten Monaten des «Dritten Reiches» in den Folterkellern von SA und SS ermordet wurden, hat keine Statistik erfaßt.
    Zur «nationalen Revolution» gehörten auch zahllose Pogrome. In Breslau veranstaltete die SA einen Putsch gegen jüdische Anwälte und Richter; vielerorts wurden beamtete jüdische Ärzte für abgesetzt erklärt sowie jüdische Theater, Kabaretts, Juweliergeschäfte, Kleiderläden, Banken und Warenhäuser gestürmt. Deutschnationale Proteste veranlaßten Hitler am 10. März, seinen Anhängern «Belästigungen einzelner Personen, Behinderungen von Autos oder Störungen des Geschäftslebens» zu untersagen. Zwei Tage später verkündete Hitler zur Freude des konservativen Deutschland über den Rundfunk einen (verfassungswidrigen) Erlaß des Reichspräsidenten: Bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben sollten fortan die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs und die Hakenkreuzfahne gemeinsam gehißt werden.
    Der Flaggenerlaß war ein Vorspiel zum «Tag von Potsdam». In der Garnisonkirche der heimlichen Hauptstadt Preußens fand am 21. März die feierliche Eröffnung des neugewählten Reichstags statt. «Marxisten» nahmen daran nicht teil: Die kommunistischen Abgeordneten waren verhaftet worden oder untergetaucht; die sozialdemokratische Fraktion hatte tags zuvor in Abwesenheit von neun Mitgliedern, die sich in «Schutzhaft» befanden, beschlossen, der Zeremonie fernzubleiben. Die Feierlichkeiten waren darauf angelegt, Hitlers Bekenntnis zur Verbindung von «alter Größe» und «junger Kraft» zu unterstreichen. Unter lebhafter Beteiligung der beiden großen christlichen Kirchen wurde Weimar endgültig zu Grabe getragen. Als Hindenburg in der Garnisonkirche allein in die Gruft zum Sarg Friedrichs des Großenhinunterstieg, um stumme Zwiesprache mit dem König zu halten, trat bei vielen Deutschen die gleiche patriotische Rührung ein, die seit Jahren die Fridericus-Filme aus Alfred Hugenbergs Filmkonzern, der «Ufa», hervorriefen.
    Am 23. März trat der Reichstag an seinem neuen Tagungsort, der Krolloper am Platz der Republik in Berlin, zusammen, um über den (nominell von den Fraktionen der NSDAP und der DNVP vorgelegten) Entwurf eines Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich zu beraten. Das Ermächtigungsgesetz gab der Reichsregierung für die Dauer von vier Jahren pauschal das Recht, Gesetze zu beschließen, die von der Reichsverfassung abwichen. Die einzigen «Schranken» bestanden darin, daß die Gesetze nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben und nicht die Rechte des

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