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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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katholische Deutschland.
    «Volksgemeinschaft» und «Reich» waren die Zauberworte der großen Synthese. Das Wort «Volksgemeinschaft» hat als erster wohl Friedrich Schleiermacher in einem Manuskript aus dem Jahr 1809 verwendet.In den folgenden Jahrzehnten fand der Begriff Eingang erst in die Rechtswissenschaft, dann in die Soziologie. Seit dem Ersten Weltkrieg sprachen dann alle politischen Richtungen mit Ausnahme der erklärten Marxisten von «Volksgemeinschaft»: Konservative und Liberale bedienten sich des Wortes ebenso wie Gewerkschaftsführer und sozialdemokratische Reformer.
    Je nachdem, von wem der Begriff verwendet wurde, konnte er höchst Unterschiedliches bedeuten: ein Bekenntnis zum friedlichen Ausgleich sozialer Gegensätze im freien Volksstaat etwa oder den Ruf nach einer autoritären Ordnung, in der von «oben» bestimmt wurde, was dem Gemeinwohl diente und was ihm abträglich war. Die Nationalsozialisten aber waren die radikalsten Vertreter dieser Parole: Sie kündigten die Zerschlagung des Marxismus an, weil der Aufruf zum Klassenkampf die Verneinung der «Volksgemeinschaft» in sich schließe. Außerdem deuteten sie, und das unterschied sie von allen anderen Parteien der Weimarer Republik, die «Volksgemeinschaft» im Sinne ihrer rassischen Vorstellungen: In der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft hatten nur «arische» Deutsche einen Platz, nicht aber Juden, Zigeuner und Angehörige anderer, als minderwertig erachteter Rassen.
    Das «Reich» war in den Jahren vor 1933 immer mehr zum rechten Kampfbegriff gegen die Republik geworden. Zugleich aber wies die Reichsidee in Vergangenheit und Zukunft. Das «Reich» war von alters her mit Heilserwartungen verknüpft. Sie traten besonders deutlich zutage, wenn vom «Dritten Reich» gesprochen wurde – einem Begriff, von dessen Karriere bereits im Zusammenhang mit dem 1923 veröffentlichten Buch «Das dritte Reich» des jungkonservativen Publizisten Arthur Moeller van den Bruck die Rede war.
    Die Nationalsozialisten übernahmen schon bald nach Erscheinen von Moellers Buch das Schlagwort vom «Dritten Reich», das ihre Bestrebungen einprägsam zu bündeln schien. Zum Führer der NSDAP gelangte der Begriff durch die Vermittlung von Gregor Strassers Bruder Otto, der im Juli 1930 mit Hitler brach, weil dieser, so lautete der Vorwurf, den «Sozialismus» des Parteiprogramms von 1920 preisgegeben habe. Erst sehr viel später kamen Hitler Bedenken. Der Begriff «Drittes Reich» konnte leicht zu Spekulationen über ein weiteres, ein viertes Reich verführen und war überdies geeignet, die Kontinuität des Reiches der Deutschen in Frage zu stellen. Im Juni 1939 teilte die Parteikanzleiden Willen des «Führers» mit, die Bezeichnung «Drittes Reich» nicht mehr zu verwenden. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte der Begriff längst seine Wirkung getan: Er trug mit dazu bei, daß viele Deutsche in Hitler ihren Erlöser sahen.
    Vom «Reich» aber hörte Hitler nicht auf zu sprechen. Fast neun Jahre nachdem er an die Macht gelangt war, in der Nacht vom 17. zum 18. Dezember 1941, bemühte er sich im Führerhauptquartier in der «Wolfsschanze» bei Rastenburg in Ostpreußen um eine historische Einordnung der damaligen Ereignisse. «Zur Zeit der Machtübernahme», sagte er, «war es für mich ein entscheidender Moment: Will man bei der Zeitrechnung bleiben? Oder haben wir die neue Weltordnung als das Zeichen zum Beginn einer neuen Zeitrechnung zu nehmen? Ich sagte mir, das Jahr 1933 ist nichts anderes als die Erneuerung eines tausendjährigen Zustands. Der Begriff des Reiches war damals fast ausgerottet, aber er hat sich heute siegreich durchgesetzt bei uns und in der Welt: Man spricht von Deutschland überall nur als vom Reich.» Hitler überschätzte sein «Verdienst». Im gebildeten Deutschland war «das Reich» bereits in den Jahren zuvor zu neuer, wenn auch nur zu gedanklicher Größe erwacht. Hitler erntete nur, was andere gesät hatten.
    Wie die «Volksgemeinschaft» und der Mythos vom «Reich» war auch der «Führergedanke» keine nationalsozialistische Erfindung. Nicht nur auf der nationalistischen Rechten, sondern auch in der bürgerlichen Mitte erlebten Begriffe wie «Führer», «Führerschaft» und «Führung» in der Endphase der Weimarer Republik eine Hochkonjunktur. Von rechts wurde der Führergedanke der Anonymität der Funktionärsherrschaft, der parteipolitischen Zersplitterung und dem parlamentarischen Meinungsstreit entgegengesetzt. Bei

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