Geschichte des Westens
in engen Grenzen sich sogar kritisch äußerte, lag im wohlverstandenen Interesse des «Dritten Reiches». Eine Fassade von professioneller Gediegenheit und dosierterVielfalt war aus außenpolitischen, einstweilen aber auch aus innenpolitischen Gründen zweckmäßig. Entscheidend war, daß, wo immer es um wichtige Dinge ging, die Sprachregelungen des Propagandaministeriums beachtet und so umgesetzt wurden, wie Goebbels es wünschte.
Der 7. April 1933 war nicht nur der Tag des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Am gleichen Tag stellte die Reichsregierung auch das Verhältnis von Reich und Ländern auf eine neue gesetzliche Grundlage. Ein erstes Gleichschaltungsgesetz vom 31. März hatte die Zusammensetzung der Landtage dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März im jeweiligen Land (natürlich ohne Berücksichtigung der kommunistischen Stimmen) angepaßt und die Landesregierungen ermächtigt, ohne Beschlußfassung der Landtage Gesetze, auch solche mit verfassungsänderndem Charakter, zu erlassen. Das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 7. April schuf die Institution des Reichsstatthalters, der fortan die höchste Gewalt im Land verkörperte. In den meisten Ländern betraute Hitler die Gauleiter der NSDAP mit diesem Amt. Reichsstatthalter in Preußen, wo am 5. März ein neuer Landtag gewählt worden war, wurde Hitler selbst. Am 11. April ernannte er einen neuen preußischen Ministerpräsidenten: Es war Hermann Göring, in Personalunion Reichstagspräsident und Reichsminister ohne Geschäftsbereich.
Der wichtigste politische Gegner des Nationalsozialismus, der «Marxismus», war durch die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes geschwächt, aber noch nicht vernichtet worden. Von Ausschaltung konnte man nur im Fall der Kommunisten sprechen. Ihre Mandate wurden am 31. März kassiert, was aber nur noch symbolische Bedeutung hatte. Die SPD bestand als Organisation fort. Einige ihrer besonders gefährdeten Führer waren emigriert, so Otto Braun, Rudolf Hilferding und Philipp Scheidemann; andere befanden sich in Haft. Die verbliebenen höheren Funktionäre taktierten mit größter Vorsicht, vermieden aber meist eine Anpassung an das neue Regime, wie sie zur gleichen Zeit der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund betrieb. Dessen Bundesvorstand begrüßte am 15. April ausdrücklich den Beschluß der Reichsregierung, den 1. Mai zum «Tag der nationalen Arbeit» zu erklären und fortan als gesetzlichen Feiertag zu begehen.
Am 1. Mai 1933 wurden die Gewerkschaftshäuser schwarz-weiß beflaggt. Der Textilarbeiterverband marschierte auf der zentralen Kundgebung des Regimes auf dem Tempelhofer Feld sogar unter einerHakenkreuzfahne auf. Hitler hielt eine große, von allen Rundfunksendern übertragene Rede, in der er von der «gigantischen Aufgabe» des Straßenbaus sprach, die Einheit von Kopf- und Handarbeit beschwor und seinen Friedenswillen beteuerte. Doch der Opportunismus der Gewerkschaftsführer zahlte sich nicht aus. Dem «Tag der nationalen Arbeit» folgte der 2. Mai: der Tag, an dem, seit längerem generalstabsmäßig geplant, das Regime zum Schlag gegen die Freien Gewerkschaften ausholte. Überall im Reich besetzten SA und SS die Gewerkschaftshäuser, die Redaktionen der Gewerkschaftszeitungen sowie die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten mit ihren Filialen. Der Vorsitzende des ADGB, Theodor Leipart, und andere Gewerkschaftsführer wurden in «Schutzhaft» genommen, die in den meisten Fällen etwa zwei Wochen, bei Leipart und seinem Stellvertreter Peter Grassmann bis in den Juni hinein, dauerte. An weniger prominente Funktionäre erging die Aufforderung, unter neuer Führung, nämlich der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO), weiterzuarbeiten.
Das Schicksal der Freien (das heißt: der Sozialdemokratie nahestehenden) Gewerkschaften vor Augen, unterstellten sich die anderen beiden Richtungsgewerkschaften, die christlich-nationalen Gewerkschaften und die liberalen («Hirsch-Dunckerschen») Gewerkvereine, am 4. Mai bedingungslos der Führung Hitlers. Zwei Tage später kündigte Robert Ley, Gregor Strassers Nachfolger als Reichsorganisationsleiter der NSDAP, die Gründung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) an. Ihr erster Kongreß fand am 10. Mai in Berlin unter Hitlers Schirmherrschaft statt, der sich bei dieser Gelegenheit als «ehrlicher Makler» zwischen den verschiedenen Schichten des deutschen Volkes bezeichnete. Ley wurde zum
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