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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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amerikanischen». An anderer Stelle des Manuskripts heißt es, in ferner Zukunft lasse sich vielleicht eine neue Völkervereinigung denken, «die aus Einzelstaaten mit hohem Nationalwert bestehend, dann der drohenden Überwältigung der Welt durch die amerikanische Union entgegentreten könnte. Denn mir scheint, daß den heutigen Nationen das Bestehen der englischen Weltherrschaft weniger Leiden zufügt als das Aufkommen einer amerikanischen.»
    Von England, der anderen angelsächsischen Großmacht, sprach Hitler in seinem «Zweiten Buch» in Tönen höchsten Respekts. Wenn die Erde heute ein englisches Weltreich besitze, dann gebe es aber auch «zur Zeit kein Volk, das auf Grund seiner allgemeinen staatspolitischen Eigenschaften sowie seiner durchschnittlichen politischen Klugheit mehr dazu befähigt wäre». Ein Bündnis der Landmacht Deutschland mit der Seemacht England erschien Hitler nicht nur denkbar, sondern so erstrebenswert, daß er bereit war, auf eine künftige deutsche Kolonialpolitik zu verzichten. Frankreich hingegen blieb für Hitler der Erbfeind, der es seit 300 Jahren auf die Auflösung Deutschlands abgesehen hatte. Den Gegenpol dazu bildete das faschistische Italien: Es war der geborene Bündnispartner eines nationalsozialistischen Deutschland, weshalb es sich für Hitler von selbst verbot, die italienische Südtirolpolitik zu kritisieren oder gar den Status Südtirols in Frage zu stellen. In diesem Punkt unterschieden sich die Nationalsozialisten schroff von allen anderen deutschen Parteien, gleichviel ob rechts oder links.
    Was Hitler zwischen 1930 und 1933 öffentlich verkündete, ließ den Kern seiner Überzeugungen kaum erkennen – und das war einer der Gründe des Massenzulaufs zu den Nationalsozialisten. Die Verbindung von Nationalismus und Sozialismus unterschied Hitlers Bewegung von den rechten Sammlungsbewegungen des Kaiserreichs. Die NSDAP war keine Partei von Honoratioren; sie verdankte ihre Wahlerfolge mehr den demagogischen Fähigkeiten ihres Führers und dem Einsatz seiner Anhänger als der finanziellen Unterstützung durch rechtsstehende Industrielle und Bankiers. Der «Sozialismus» der Nationalsozialisten verschreckte viele bürgerliche Wähler, namentlichsolche in den selbständigen Mittelschichten. Noch im Dezember 1932 hielt es die zuständige Parteigliederung, der neugegründete Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes, für notwendig, den kleinen Gewerbetreibenden zu versichern, das Ziel der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik sei die «Entproletarisierung» des deutschen Arbeiters: «Sinn der sozialistischen Idee ist die Beeignung der Besitzlosen. Damit steht der Sozialismus Adolf Hitlers in schärfstem Gegensatz zu dem verlogenen Scheinsozialismus der Marxisten, der sich die Enteignung der Besitzenden zum Ziel gesetzt hat.» Für «nationale» Arbeiter und Angestellte, für Studenten und jüngere Akademiker aber bedeutete der «nationale Sozialismus» ein Angebot: Sie konnten sich unter diesem Panier sowohl vom internationalistischen Marxismus als auch von der nationalistischen «Reaktion» absetzen und eine «dritte» Position beziehen – eine, wie es schien, zukunftsweisende Position jenseits von proletarischem Klassenkampf und bürgerlicher Besitzstandswahrung.
    Der Nationalismus der NSDAP war das, was sie mit dem bürgerlichen Deutschland verband – oder doch zu verbinden schien. Es gab keine Partei, die Versailles rechtfertigte oder das Streben nach Großdeutschland ablehnte. Die Nationalsozialisten verlangten die Gleichberechtigung Deutschlands und die Vereinigung mit Österreich in einer radikaleren Tonlage als irgend jemand sonst. Aber in der Sache selbst, der Revision der Nachkriegsordnung, bestand, vordergründig jedenfalls, ein breiter nationaler Konsens. Es kam Hitler zugute, daß er, der Großdeutsche aus Österreich, keinerlei Schwierigkeiten hatte, die Forderung nach dem Anschluß seiner Heimat an das Deutsche Reich mit dem Bekenntnis zur preußischen Tradition, zu Friedrich dem Großen und Bismarck, zu verbinden. Es schadete ihm auch nicht, daß er von Hause aus Katholik war. Die jüngeren Deutschen, soweit sie weder Marxisten noch «kirchlich» waren, hielten den konfessionellen Gegensatz für historisch ebenso überholt wie den Klassenkampf. Hitlers Chance lag darin, daß ihm viele zutrauten, er werde miteinander versöhnen, was ehedem unvereinbar schien: nicht nur Nationalismus und Sozialismus, sondern auch das evangelische und

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