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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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internierter Genossen gedroht, wenn die Fraktion nicht der gemeinsamen Erklärung zustimmen sollte, in der der Reichstag die Regierungserklärung billigte.
    Die Rede Hitlers vom 17. Mai 1933 war die maßvollste und friedfertigste, die er je gehalten hat. Er äußerte Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse der Nachbarvölker, zumal der Franzosen und der Polen, und legte ein Bekenntnis zum Frieden ab, wie es eindringlicher keiner seiner Vorgänger hätte tun können. Für Deutschland forderte er nur gleiches Recht. Selbst eine versteckte Drohung klang defensiv: «Als dauernd diffamiertes Volk würde es uns schwer fallen, noch weiterhin dem Völkerbund anzugehören.» Im Anschluß an die stürmisch bejubelte Regierungserklärung verlas Reichstagspräsident Göring die gemeinsam von den Fraktionen der NSDAP, DNVP, des Zentrums und der BVP eingebrachte Billigungsresolution und bat die Abgeordneten, die der Entschließung zustimmen wollten, sich von ihren Plätzen zu erheben. Das taten alle, auch die Sozialdemokraten. Sie stimmten auch in das Deutschlandlied ein, das anschließend vom Hohen Haus gesungen wurde. Beim Horst-Wessel-Lied («Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen»), das der Nationalhymne folgte, blieben die Nationalsozialisten dagegen unter sich.
    Das Votum für Hitler hatte den Bruch zwischen der «Reichs-SPD» und der Sozialistischen Arbeiter-Internationale zur Folge. Deren Büro mißbilligte das Abstimmungsverhalten der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten. Für den Parteivorsitzenden Otto Wels gab es seit dem 17. Mai keinen Zweifel mehr, daß mit der Reichstagssitzung ein Kampf um die Partei begonnen hatte, den der Parteivorstand nur mit Hilfe der Internationale gewinnen konnte. Am 21. Mai beschloß der Parteivorstand, seinen Sitz von Saarbrücken nach Prag zu verlegen. Für die Wahl der tschechoslowakischen Hauptstadt sprach ein strategisches Argument: Über die dichtbewaldeten Gebirge im Westen und Norden konnte man leicht die Grenze nach Bayern, Sachsen und Schlesien passieren – eine wichtige Voraussetzung jener illegalen Arbeit, zu der die emigrierten Parteiführer nun keine Alternative mehr sahen. Am 18. Juni erschien in Karlsbad die erste Ausgabe des «Neuen Vorwärts» mit einem Aufruf des Exilvorstands unter der Überschrift «Zerbrecht die Ketten!» Es war die schärfste Kampfansage, die bisher von Sozialdemokraten gegen das Regime Hitlers gerichtet worden war.
    Tags darauf trat die «Löbe-SPD» im preußischen Landtag zu einer Reichskonferenz zusammen. Die Linie der Mehrheit brachte der Vorsitzende der preußischen Landtagsfraktion, Ernst Heilmann, auf die klassische Formel: «Wir müssen den Faden der Legalität weiterspinnen, so lange er weitergesponnen werden kann.» Mit der Führung der Parteigeschäfte wurde ein sechsköpfiges Direktorium beauftragt, das rein «arisch» zusammengesetzt war. Vom Prager Exilvorstand distanzierte sich der neue Vorstand, dem auch Löbe angehörte, mit klaren Worten: Parteigenossen, die ins Ausland gegangen seien, könnten keinerlei Erklärungen für die Partei abgeben. «Für alle Äußerungen lehnt die Partei jede Verantwortung ausdrücklich ab.»
    Den Reichsinnenminister konnte die «Löbe-SPD» damit nicht beeindrucken. Am 21. Juni ordnete Frick unter Hinweis auf «hoch- und landesverräterische Unternehmungen gegen Deutschland», die vom Exilvorstand ausgingen, ein umfassendes politisches Betätigungsverbot für die SPD an. Am 22. Juni trat der Erlaß in Kraft. Am gleichen Tag wurden im Rahmen einer groß angelegten Welle von Verhaftungen neben zahlreichen Funktionären, Reichs- und Landtagsabgeordneten der SPD auch vier Mitglieder des neuen Direktoriums, darunter Löbe, festgenommen. Ein Mitglied, der frühere Ministerpräsidentvon Mecklenburg-Schwerin, Johannes Stelling, wurde von SA-Leuten im Zuge der «Köpenicker Blutwoche» auf bestialische Weise umgebracht. Am 6. Juli nahm die Geheime Staatspolizei (Gestapo) den schärfsten Kritiker des «Löbe-Kurses», den Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher, fest. Im August folgte die Einlieferung in sein erstes Konzentrationslager auf dem Heuberg bei Stuttgart. Es sollte zehn Jahre dauern, bis Schumacher wieder freikam.
    Die Ausschaltung der Sozialdemokratie bildete den Auftakt zur Zerschlagung des Parteiwesens insgesamt. Am gleichen 21. Juni, an dem das politische Betätigungsverbot für die SPD erging, ordnete Frick auch ein Verbot der Deutschnationalen Kampfringe, der

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