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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kammern, die gesamte gesetzgebende Gewalt. Er war Oberbefehlshaber der Streitkräfte; die von ihm ernannten Minister waren ausschließlich ihm verantwortlich; er verhandelte und ratifizierte völkerrechtliche Verträge. An die Zustimmung des Parlaments war er lediglich bei Kriegserklärungen gebunden. DerSenat und die Deputiertenkammer, die aus den Wahlen von 1936 hervorgegangen waren, wurden bis auf weiteres vertagt.
    Damit war die Dritte Republik liquidiert, der «État français» als autoritäre Präsidialdiktatur etabliert und jene «nationale Revolution» (révolution nationale) eingeleitet, die die Propagandisten Vichys fortan beschworen. Laval und andere Gegner der parlamentarischen Demokratie hatten ein wichtiges Etappenziel erreicht: Frankreich verfügte nun über das Gerüst einer Ordnung, die es ihm auf längere Sicht gestatten sollte, die Bedingungen des Waffenstillstandes zu mildern, sich aus dem Krieg herauszuhalten, in einem Friedensvertrag seine Souveränität wiederherzustellen und einen angemessenen Platz in Hitlers neuem Europa einzunehmen.
    Die rasche Niederwerfung Frankreichs war nicht, wie es in Deutschland sogleich hieß, der Beweis einer genialen Strategie des «Führers», der Idee eines «Blitzkrieges». Als solcher war der Westfeldzug
nicht
geplant worden. Vielmehr haben ihn erst zwei Faktoren dazu gemacht: auf der einen Seite das Versagen der französischen und britischen Militärs, auf der anderen der improvisierte Durchbruch der deutschen Panzertruppen unter Guderian von Sedan zur Küste Mitte Mai 1940. «Das sogenannte ‹Blitzkriegdenken› entwickelte sich erst
nach
dem Westfeldzug», urteilt der Militärhistoriker Karl-Heinz Frieser. Der «Blitzkrieg» war demnach «nicht Ursache, sondern Folge des Sieges. Was im Mai 1940 zu aller Überraschung gelungen war, sollte von nun an als ‹Geheimnis des Sieges› zur Verwirklichung von Hitlers Eroberungswillen dienen.» Erst aus dieser Einschätzung heraus konnte jener «Wahn von ‹Weltblitzkrieg›» entstehen, der weltgeschichtliche Folgen nach sich zog. In Fischers pointierten Worten: «Der Westfeldzug war ein nicht geplanter, aber erfolgreicher ‹Blitzkrieg›, der Ostfeldzug 1941 hingegen ein geplanter, aber erfolgloser ‹Blitzkrieg›.»
    Obwohl Hitler den schnellen Triumph im Westen nicht herbeigeführt, sondern durch sein Zögern vor Dünkirchen eher gefährdet hatte, ließ der Sieg über Frankreich seine Popularität in Deutschland ins Unermeßliche steigen. Zwei Jahrzehnte nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Versailles schien das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg doch noch gewonnen zu haben. «Die übermenschliche Größe des Führers und seines Werkes erkennen heute alle gutgestimmten Volksgenossen restlos, freudig und dankbar an», berichtete am 9. Juli der Regierungspräsident von Schwaben. Der Kreisleiter der NSDAP vonAugsburg-Stadt befand tags darauf: «Man kann ruhig sagen, die ganze Nation ist nun von einem so gläubigen Vertrauen zum Führer erfüllt, wie dies vielleicht in diesem Ausmaß noch nie der Fall war.» Das akademische Deutschland war nicht weniger begeistert als die vielen namenlosen «Volksgenossen». Der liberalkonservative Historiker Friedrich Meinecke, der Hitler und dem Nationalsozialismus mit starken Vorbehalten gegenüberstand, räumte in einem Brief an einen anderen deutschen Historiker, Siegfried A. Kaehler, am 4. Juli 1940 ein: «Freude, Begeisterung und Stolz auf dieses Heer müssen zunächst auch für mich dominieren. Und Straßburgs Wiedergewinnung! Wie sollte einem da das Herz nicht schlagen. Es war doch eine erstaunliche, und wohl die größte positive Leistung des 3. Reiches, in vier Jahren ein solches Millionenheer neu aufzubauen und zu solchen Leistungen zu befähigen.»
    Das nationalsozialistische Regime durfte auch auf die Zustimmung vieler, ja der meisten deutschen Historiker rechnen, als es im Frühjahr 1940 mit einer Kampagne begann, deren Ziel es war, europäische Unterstützung für die Führungsrolle des Reiches (und mitunter auch diejenige Italiens) zu gewinnen. In der von Goebbels herausgegebenen Wochenzeitung «Das Reich», die seit Ende 1940 erschien, verkündete der Historiker Peter Richard Rohden am 21. Juli 1940 eine besondere Mission Deutschlands und Italiens: «Träger eines echten imperialen Ordnungsgedankens, der nicht auf Unterdrückung und Ausnutzung, sondern auf Gerechtigkeit und Frieden abzielt, sind im germanisch-romanischen Raum nur Italien und

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