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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Überlebenschance hätten die Juden dort nicht gehabt. Daß viele der Deportierten schon auf dem Weg in die Lager umkommen würden, gehörte zum Kalkül Heydrichs und seiner Mitarbeiter. Wohl schon im Frühjahr 1941 reiften im Reichssicherheitshauptamt Pläne, einen Großteil der arbeitsfähigen Juden durch Zwangsarbeit im Straßenbau und bei der Trockenlegung von Sümpfen zu vernichten.
    Das große Morden unter den Juden der Sowjetunion besorgten vom ersten Tag des Ostfeldzugs an vor allem die neugebildeten vier Einsatzgruppen der SS, deren Aktionsräume denen der Heeresgruppe Nord, Mitte und Süd zugeordnet waren (im Bereich der Heeresgruppe Süd arbeiteten zwei Einsatzgruppen, C und D). Hitlers Gleichsetzung von Juden mit Parteigängern und Partisanen der Bolschewisten bedeutete zunächst den Tod eines Großteils der männlichen erwachsenen Juden im Operationsgebiet der Einsatzgruppen.
    Seit Ende Juli gingen SS und Einsatzgruppen immer mehr dazu über, alle Juden, die sie antrafen, auch Frauen und Kinder, zu erschießen. Die Ausweitung des Mordens hing mit einer neuen Kompetenzregelung zusammen: Am 16./17. Juli hatte Hitler dem «Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei», Heinrich Himmler, die «polizeiliche Sicherung der neuen Ostgebiete» und damit die polizeiliche Lösung der «Judenfrage» übertragen. Am 14./15. August 1941 berief sich Himmler in Minsk gegenüber dem Führer des Einsatzkommandos 8, Otto Bradfisch, auf einen «Führerbefehl über die Erschießung aller Juden». Der Befehl wurde befolgt: Allein im Bereich der Einsatzgruppe A, die im Baltikum und in Teilen Nordrußlands tätig war, wurden zwischen dem 22. Juni und dem 15. Oktober 1941 etwa 125.000 Juden und 5000 Nichtjuden liquidiert. In der Schlucht von Babi Jar bei Kiew wurden am 29. September bei einem der schrecklichsten Massaker des Krieges überhaupt 33.700 Juden erschossen. Die Gesamtzahl der Juden, die während der ersten fünf Monate des Ostfeldzugs getötet wurden, belief sich auf ungefähr 500.000. Der Völkermord hatte begonnen.
    Die Wehrmacht legte den Einsatzgruppen nicht nur keine Hindernisse in den Weg, mancherorts beteiligten sich auch deutsche Soldaten an den Erschießungen, wobei die Entdeckung von Zehntausenden von Leichen ermordeter Häftlinge des NKWD in den eroberten Gebieten Ostpolens und der Westukraine offensichtlich dazu beitrug, moralische Hemmschwellen zu senken. Zwei deutsche Generalfeldmarschälle riefen im Herbst 1941 ihre Soldaten ausdrücklich dazu auf, den Krieg gegen die Sowjetunion nicht als herkömmlichen, sondern als Weltanschauungs- und Rassenkrieg zu begreifen. Walther von Reichenau machte sich am 10. Oktober zum Sprachrohr Hitlers, als er den «Soldaten im Ostraum» zum «Träger einer unerbittlichen völkischen Idee» erklärte, der «für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum
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Verständnis haben» müsse. Erich von Manstein formulierte im November fast wortgleich: «Das jüdisch-bolschewistische System muß ein für allemal ausgerottet werden. Nie wieder darf es in unseren europäischen Lebensraum eingreifen. Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muß der Soldat Verständnis aufbringen.»
    Selbst Offiziere wie Henning von Tresckow, der Erste Generalstabsoffizier(«I A») bei der Heeresgruppe Mitte, und der Oberst im Generalstab Rudolf-Christoph von Gersdorff, die wenig später führende Rollen im deutschen Widerstand gegen Hitler übernehmen sollten, trugen die vermeintlich kriegsbedingte Gleichsetzung von Ostjuden und bolschewistischen Partisanen zunächst mit, zeichneten Berichte über vollzogene Exekutionen ab und leiteten sie auftragsgemäß weiter. Erst als die Vernichtung der Juden von Borissow, einschließlich von Frauen und Kindern, am 20. und 21. Oktober 1941, keinen Zweifel am genozidalen Charakter der nationalsozialistischen Judenfeindschaft mehr zuließ, reifte bei Tresckow und seinen Freunden der Entschluß zum Widerstand bis hin zur letzten Konsequenz, dem Tyrannenmord.
    An den Massenerschießungen von Juden im Baltikum, im östlichen Galizien und in der Ukraine nahmen vielerorts auch einheimische Kräfte teil. Ihr Haß richtete sich nicht nur gegen die Juden, die sich 1939/40 auf die Seite der Sowjetunion gestellt hatten, sondern gegen die Juden schlechthin, wobei sich religiöse, wirtschaftliche und politische Motive vermengten. In der polnischen

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