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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kleinstadt Jedwabne im Distrikt Bialystok wurden die Juden von Menschen aus ihrer nächsten Umgebung erschlagen oder bei lebendigem Leibe in einer Scheune verbrannt. Vom katholischen Klerus wurden weder diese noch andere Massaker verurteilt. In einem der Exilregierung in London übermittelten Bericht aus Kirchenkreisen über die Zeit vom 1. Juni bis 15. Juli 1941 hieß es, was die Judenfrage betreffe, «so muß es als ein einzigartiges Walten der göttlichen Gnade angesehen werden, daß die Deutschen hier einen guten Anfang gemacht haben, ganz unabhängig von all dem Unrecht, das sie unserem Land angetan haben und noch weiter antun. Sie haben gezeigt, daß die Befreiung der polnischen Gesellschaft von der jüdischen Pest möglich ist … In dem Beitrag zur Lösung dieser dringlichen Frage, der von den Besatzern geleistet wird, kann man ganz deutlich die Hand Gottes erkennen.»
    Das Beispiel, das die Deutschen gaben, spornte auch gleichgesinnte Regime in Südost- und Ostmitteleuropa an. Auf Befehl des «Conducators» Antonescu ermordeten Armee und Gendamerie in Rumänien selbst und auf sowjetischem Territorium 1941/42 innerhalb von zwölf Monaten zwischen 280.000 und 380.000 Juden. Die kroatische Ustascha führte auf Weisung des «Poglavnik» Pavelic einen Kreuzzug gegen die 2,2 Millionen orthodoxen Serben und die etwa 45.000 Juden desLandes, wobei unbeschreibliche Grausamkeiten vor allem an serbischen Frauen begangen wurden. Bis zum Frühjahr 1942 kamen 300.000 bis 400.000 Serben und die meisten Juden ums Leben, ohne daß Papst Pius XII. oder der katholische Klerus den katholischen Ustaschi in den Arm fielen. Die ungarische Polizei übergab im August 1941 etwa 18.000 ausländische Juden der SS; sie wurden zusammen mit etwa 5600 einheimischen Juden in der Westukraine umgebracht. Die katholische Slowakei übernahm im Herbst 1941 von Deutschland eine große Zahl antijüdischer Maßnahmen, darunter den am 1. September 1941 im Reich eingeführten gelben Judenstern, den alle Juden in der Öffentlichkeit tragen mußten. Ausgenommen vom slowakischen Judenstatut vom 1. November 1941 waren zum Katholizismus übergetretene Juden. Als erstes europäisches Land begann die Slowakei im März 1942 mit der Deportation ihrer Juden in Richtung Osten – in das Konzentrationslager Auschwitz.
    Für die politische Ausübung deutscher Herrschaft in den eroberten Gebieten der Sowjetunion war nominell Alfred Rosenberg, seit dem 17. Juli 1941 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, zuständig. Tatsächlich übten zwei hohe Funktionsträger der NSDAP die Macht aus: Hinrich Lohse, der Gauleiter von Schleswig-Holstein, als Reichskommissar für das «Ostland», gebildet aus den drei baltischen Staaten und Weißrußland, und Erich Koch, Gauleiter von Ostpreußen, als Reichskommissar für die (verkleinerte) Ukraine, dem auch der ostpolnische Bezirk Bialystok unterstellt wurde. Koch sah in der Ukraine ein reines Ausbeutungsgebiet und in den Ukrainern ein Sklavenvolk, das für die deutschen Herren zu arbeiten hatte. Daß Rosenberg diese Politik für verhängnisvoll hielt, weil sie jede Zusammenarbeit mit antibolschewistischen Kräften in der Ukraine den Boden entzog, blieb folgenlos: Martin Bormann, der mächtige Leiter der Partei-Kanzlei, gab, im Zweifelsfall gestützt von Hitler, Koch recht.
    Wenn es um die Juden ging, hörte aber auch bei Rosenberg das Denken in den Kategorien der Zweckmäßigkeit auf. Als der Generalkommissar für Weißruthenien, der frühere brandenburgische Gauleiter Wilhelm Kube, im Oktober 1941 gegen die Massentötung von Juden, darunter vielen Handwerkern, protestierte und an den Ostminister die Frage richtete, ob denn tatsächlich alle Juden «ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und wirtschaftliche Interessen (z.B. der Wehrmacht an Facharbeitern und Rüstungsbetrieben)» liquidiert werdensollten, ließ Rosenberg antworten: «Wirtschaftliche Belange sollen bei der Regelung des Problems grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Im Übrigen wird gebeten, auftauchende Fragen unmittelbar mit dem Höheren SS- und Polizeiführer zu regeln.»
    Die Ausrottung der Juden hatte im Sommer 1941 begonnen, aber vieles war noch offen. Der Massenmord beschränkte sich einstweilen auf Teile des Ostjudentums und, was das angewandte Mittel betraf, vor allem auf Erschießungen. Auf diese Weise binnen kurzer Fristen viele Millionen Menschen umzubringen war technisch unmöglich, für die «Moral» der aktiv Beteiligten

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