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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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arbeitsunfähigen polnischen Juden und Zigeunern in Gaswagen im Lager Chelmno, auf deutsch Kulmhof im Warthegau – der «ersten Mordfabrik in der Geschichte der Menschheit», wie der niederländische Historiker L. J. Hartog Chelmno genannt hat.
    Zum Zeitpunkt der Wannseekonferenz steckte die Entwicklung der Anlagen zur Menschenvernichtung noch in den Anfängen. Im Verlauf des Jahres 1942 wurde die Mordmaschine immer «leistungsfähiger». An die Stelle der Vergasungswagen traten die Gaskammern in Auschwitz, Belzec, Sobibór, Treblinka und Majdanek. Das Blausäuregas Zyklon B verdrängte das zuvor eingesetzte Kohlenmonoxid. Im Lager Auschwitz-Birkenau fand bis zuletzt «Vernichtung durch Arbeit», unter anderem in einem Zweigbetrieb der IG Farben, neben sofortiger Vergasung der eingelieferten Juden, aber auch von Zigeunern und sowjetischen Kriegsgefangenen statt.
    Einen schriftlichen Befehl Hitlers zur Judenvernichtung gab es nicht. Es konnte ihn schon deshalb nicht geben, weil die Erfahrungen mit der Weisung zur Tötung der Geisteskranken gegen diese Art der Festlegung sprachen. Hitler drückte seinen Willen zur «Lösung der Judenfrage» so aus, daß die nachgeordneten Führer, vom Reichsführer SS über die Höheren SS- und Polizeiführer bis zu den Führern der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos, die radikalste Verwirklichung der Weisung für diejenige halten mußten, die den Wünschen des «Führers» am besten entsprach. Der Prozeß zunehmender Radikalisierung bei der Vernichtung der Juden hat hier einen seiner Gründe.
    Ein anderer Grund waren die Folgen vorausgegangener Maßnahmen, die ohne Rücksicht auf ihre Wirkungen getroffen worden waren. Die Ansiedlung von Volksdeutschen im Warthegau und die Deportationen von Juden aus dem Reich und dem Protektorat Böhmen und Mähren ins Generalgouvernement schufen einen Problemdruck, der sich nicht durch Deportationen in ehedem sowjetisches Gebiet abbauen ließ: Über die angrenzenden Territorien war im «Generalplan Ost» verfügt worden, und die für Judenlager in Aussicht genommene Eismeerküste blieb dem deutschen Zugriff entzogen. Eine «territoriale Lösung der Judenfrage» östlich von Polen kam damit nicht mehr in Frage. Eine solche Lösung hätte zwar auch zur physischen Vernichtung der Juden geführt, aber erst über einen längeren Zeitraum hinweg. Nachdem diese Option ausgeschieden war, blieb nur die «Endlösung» in der Form übrig, wie sie stattfand. Die «Sachzwänge», die den Massenmord unausweichlich erschienen ließen, obenan die seit Ende 1941 immer kritischer werdende Versorgungslage, waren das Ergebnis von Entscheidungen, für die in letzter Instanz immer Hitler verantwortlich war. Die lange umstrittene Frage, ob die Vernichtung der Juden «intentional», aus Hitlers Absichten, oder «funktional», aus der Eigendynamik der nationalsozialistischen Kriegs- und Rassenpolitik, zu erklären sei, läßt sich infolgedessen weder im Sinne der einen noch der anderen «Schule» beantworten: Beides kam zusammen.
    Zehn Tage nach der Wannseekonferenz, am 30. Januar 1942, dem neunten Jahrestag seiner «Machtergreifung», erinnerte Hitler im Berliner Sportpalast abermals an seine Prophezeiung von der Vernichtung des Judentums. «Wir sind uns dabei im klaren darüber, daß der Krieg nur damit enden kann, daß entweder die arischen Völker ausgerottet werden, oder daß das Judentum aus Europa verschwindet … Zum erstenmalwird diesmal das echt altjüdische Gesetz angewendet: ‹Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn!› Und je weiter sich diese Kämpfe ausweiten, umso mehr wird sich – das mag sich das Weltjudentum gesagt sein lassen – der Antisemitismus verbreiten. Er wird Nahrung finden in jedem Gefangenenlager, in jeder Familie, die aufgeklärt wird, warum sie letzten Endes ihr Opfer zu bringen hat. Und es wird die Stunde kommen, da der böseste Weltfeind aller Zeiten wenigstens auf ein Jahrtausend seine Rolle ausgespielt haben wird.»
    In den tausend Jahren, die zwischen dem Sieg über den Antichrist und dem Jüngsten Gericht lagen, würde der Teufel keine Macht mehr über die Menschen haben: Hitler bemühte, ohne die biblische Quelle zu nennen, das zwanzigste Kapitel der Offenbarung des Johannes, um die Deutschen von der Größe ihres geschichtlichen, ja geradezu heilsgeschichtlichen Auftrags zu überzeugen. Und nicht nur die Deutschen: Hitler war nicht weniger als Goebbels davon überzeugt, daß Europa, ja die «arische» Rasse insgesamt allen Grund hatte,

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