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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Deutschland für die Erlösung von der jüdischen Weltgefahr dankbar zu sein.
    Die Judenfeindschaft als Vehikel einer europäischen Solidarisierung mit dem nationalsozialistischen Deutschland: Ganz und gar abwegig war diese Erwartung nicht. Die antisemitischen Parolen der Nationalsozialisten stießen im deutsch beeinflußten Teil Europas durchaus auf einen gewissen Widerhall. Nach Italien und Ungarn ging auch Vichy-Frankreich, und zwar schon bald nach dem Waffenstillstand und ohne von Deutschland dazu gedrängt worden zu sein, zu einer eigenen Judengesetzgebung über. Ende Juli erging ein Gesetz, das die Überprüfung aller seit 1927 erfolgten Einbürgerungen anordnete und dazu führte, daß etwa 8000 Juden ihre französische Staatsbürgerschaft verloren. Im August wurde ein erst im April verabschiedetes Gesetz aufgehoben, das Hetze aus rassischen oder religiösen Gründen verbot. Am 3. Oktober 1940, knapp eine Woche nach dem Erlaß einer ersten antijüdischen Verordnung des deutschen Militärbefehlshabers, erließ das Pétain-Regime ein «Judenstatut», das die Zugehörigkeit zum Judentum rassisch definierte (Jude ist, wer von drei Großeltern jüdischer Rasse abstammt oder von zwei jüdischen Großeltern, wenn auch der Ehegatte jüdischer Abstammung ist) und Juden von allen öffentlichen Ämtern sowie leitenden Funktionen in Presse, Theater und Film ausschloß. Auf Grund des Judenstatuts wurden 140 Hochschullehrer und vier Professoren des Collège de France entlassen.
    Ein weiteres Gesetz vom 4. Oktober 1940 erlaubte die Internierung ausländischer Juden auf Veranlassung des jeweiligen Departements. Im Mai 1941 begannen die ersten Massenverhaftungen ausländischer Juden. Im Juni folgten im Zuge eines zweiten, verschärften Judenstatuts die Einführung des Numerus clausus für zahlreiche freie Berufe, darunter Rechtsanwälte und Ärzte, sowie Maßnahmen zur Arisierung der französischen Wirtschaft. Rund 47.000 jüdische Unternehmungen, vor allem solche der Textilbranche, Kaufhäuser und Banken, wurden aufgelöst oder von nichtjüdischen Eigentümern übernommen. Besonders hart traf dieser Schlag das Pariser Judentum.
    Zu den frühen Opfern der Juden- und Emigrantenpolitik des État français gehörten zwei deutsche Sozialdemokraten: der bedeutende marxistische Theoretiker und zweimalige Reichsfinanzminister Rudolf Hilferding, ein Jude, und der nichtjüdische frühere Fraktionsvorsitzende der Reichstagsfraktion der SPD, Rudolf Breitscheid. Am 9. Februar 1941 nahm die Vichy-Polizei beide im Hôtel du Forum im südfranzösischen Arles fest und übergab sie in Vichy dem SD, der sie in das Pariser Gestapo-Gefängnis La Santé einlieferte. Dort nahm sich Hilferding am 12. Februar 1941 das Leben. Breitscheid wurde in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er im August 1944, angeblich bei einem Bombenangriff, umkam. Der prominenteste jüdische Sozialist aus Frankreich, der vom Vichy-Regime an die Deutschen ausgeliefert wurde, war Léon Blum. Er überlebte die Haft in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau und sollte 1946/47 noch einmal an die Spitze einer französischen Regierung treten.
    Nur in
einem
Land des deutschen Einflußbereiches in Westeuropa kam es angesichts der fortschreitenden Entrechtung und Verfolgung der Juden zu offenem Protest von Teilen der einheimischen Bevölkerung: in den Niederlanden. Im November 1940 verwahrten sich Professoren und Studenten der Universitäten Leiden und Delft gegen die Entlassung jüdischer Hochschullehrer. Am 25. Februar 1941 riefen die Kommunisten in Amsterdam mit Erfolg zu einem Generalstreik auf, der in erster Linie ein Protest gegen eine brutale Polizeiaktion im Judenviertel der Stadt war. In allen anderen von Deutschland besetzten Ländern Westeuropas stieß die antisemitische Politik auf eine Mischung aus Apathie und verhaltener Zustimmung. In den Worten von Saul Friedländer: «Die antijüdischen Maßnahmen wurden von den Völkern und von den geistlichen und intellektuellen Eliten und ameklatantesten von der Mehrzahl der christlichen Kirchen hingenommen, ja gebilligt.»
    In Deutschland zeigte sich während des Krieges, daß die unaufhörliche antisemitische Propaganda des Regimes nicht ohne Wirkung geblieben war: Die abgrundtiefe Verachtung der Juden, wie sie in zahllosen Briefen sowohl von Offizieren wie von einfachen Soldaten, besonders aus Polen, in Erscheinung tritt, ist kaum anders zu erklären. Dennoch wußte die nationalsozialistische

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