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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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«Entjudung» des deutschen Einflußbereiches in Europa auf der seit jeher von ihm verfolgten Linie – eine Position, die in Dänemark nur deshalb ohne praktische Konsequenzen geblieben war, weil ein radikales Vorgehen unter den gegebenen Bedingungen übergeordneten deutschen Interessen, obenan der ungestörten Belieferung des Reiches mit dänischen Lebensmitteln, widersprochen hätte.
    Doch die Erwartung, daß der Ausnahmezustand eine rasche Aktion ohne viel Aufsehen erlauben würde, erwies sich als irrig. Nachdem Hitler die Deportation der dänischen Juden genehmigt hatte, ließ Best am 17. September die Mitgliederverzeichnisse der Jüdischen Gemeinde von der deutschen Polizei beschlagnahmen. Zusammen mit dem Eintreffen zusätzlicher deutscher Polizeikräfte aus Norwegen führte diese Maßnahme dazu, daß die dänischen Juden und die dänische Öffentlichkeit in Alarmzustand versetzt wurden. Von da ab mußte auch Best davon ausgehen, daß der von ihm geforderte Schritt heftige Gegenreaktionen nach sich ziehen würde. Hanneken teilte diese Ansicht. Der Schiffahrtssachverständige der deutschen Botschaft, Georg F. Duckwitz, aber tat den entscheidenden Schritt. Als er am 11. September, vermutlich durch Best, erfuhr, daß die Razzia am 1./2. Oktober stattfinden sollte, informierte er die ihm gut bekannten sozialdemokratischen Politiker Hans Hedtoft und H. C. Hansen, die ihrerseits die Vertreter der dänischen Juden von dem deutschen Plan in Kenntnis setzten.
    Infolge der rechtzeitigen Warnung konnte die Mehrzahl der Juden gerettet werden. Die Regierung des neutralen Schweden, durch ihren Botschafter in Kopenhagen informiert, teilte der deutschen Regierung mit, daß sie bereit sei, die dänischen Juden bei sich aufzunehmen, und machte dieses Angebot auch über den Rundfunk bekannt, so daß die Betroffenen davon erfuhren und sich mit Hilfe dänischer Freunde und Nachbarn verstecken konnten. Da die deutsche Marine keine Anstalten getroffen hatte, eine Flucht über den Öresund zu verhindern, gelangten etwa 7000 Juden, mehrere Hunderte mit ihren nichtjüdischen Ehepartnern, auf dänischen Fischerbooten oder kleinen Schiffen nach Schweden. In Dänemark konnte die deutsche Polizei am 2. Oktober und in den Tagen danach nur noch 481 Juden verhaften. Sie wurden nach Deutschland und dann, auf Drängen Bests, nicht in ein Vernichtungslager, sondern in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo die meisten von ihnen das Kriegsende erlebten. Der Reichsbevollmächtigte gab sich erfreut, daß ungeachtet des Fehlschlags der Verhaftungsaktion das eigentliche Ziel erreicht war: Dänemark war «entjudet».
    Nach der Beendigung des Ausnahmezustandes am 6. Oktober 1943 mußte Best seine Politik auf dänischer Seite mit dem Staatssekretär des Außenministeriums, Nils Svenningsen, dem Sprecher der übrigenStaatssekretäre, abstimmen. Währenddessen schlossen sich die dänischen Widerstandsgruppen zu einem «Freiheitsrat» zusammen, der enge Kontakte zur britischen Regierung unterhielt und sich eines wachsenden Rückhalts in der Bevölkerung erfreute. Auf das Konto des Freiheitsrates gingen die meisten Sabotageakte zurück, deren Zahl seit Oktober 1943 beträchtlich anstieg, aber auch die Ermordung dänischer Spitzel, die für die Deutschen arbeiteten. Mehrere Saboteure, deren die deutsche Sicherheitspolizei habhaft geworden war, wurden daraufhin von einem deutschen Kriegsgericht abgeurteilt, davon einige zum Tode. «Sühnemaßnahmen» in Form von Geiselerschießungen aber, wie Hitler sie verlangte, lehnte Best, um eine Eskalation zu vermeiden, ab, desgleichen Hitlers Alternativforderung, die Liquidation von Angehörigen des Widerstands als Antwort auf Attentate und Sabotageaktionen.
    Was Geiselerschießungen anging, konnte Best sich durchsetzen, nicht aber in Sachen «Gegenterror». Am 4. Januar 1944 fiel der Pfarrer und Dichter Kaj Munk einem Mordanschlag deutscher Geheimagenten zum Opfer. Sein Tod sollte die Vergeltung für die Tötung eines Spitzels aus den Reihen der dänischen Nationalsozialisten sein. Es folgten noch viele weitere Akte des «Gegenterrors», und zwar im Verhältnis 2 zu 1: zwei tote Dänen für einen toten Deutschen. (Hitler hatte ursprünglich ein Verhältnis von fünf zu eins gefordert.)
    Den Höhepunkt des dänischen Widerstands bildete der Kopenhagener «Volksstreik» von Ende Juni 1944. Er wurde ausgelöst durch eine teilweise Zerstörung des Vergnügungsparks Tivoli und ein nächtliches

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