Geschichte des Westens
22. Juni 1941 änderte sich die Situation grundlegend. Die Kommunisten gingen zum aktiven Widerstand gegen die Deutschen und ihre französischen Handlanger über. Am 21. August erschoß der Kommunist Pierre Georges, der später als Oberst Fabien eine wichtige Rolle in der Résistance spielen sollte, an der Pariser Metrostation Barbès-Rochechouart einen beliebig ausgewählten Angehörigen der Wehrmacht, den Marineverwaltungsassistenten Alfons Moser. Die Deutschen antworteten auf diesen und andere Akte mit äußerster Härte: Ende Oktober wurden 98 französische Geiseln erschossen. Der Innenminister der Regierung in Vichy, Pierre Pucheu, ließ im Herbst 1944 etwa 100 Personen hinrichten.
Der Anschlag von Barbès-Rouchechouart fiel in eine Zeit, die Pétain am 12. August in einer Rundfunkansprache mit dem Wort zu umschreiben versuchte, er spüre in mehreren Regionen Frankreichs einen «widrigen Wind» (vent mauvais). Was den Marschall und seinen damaligen Regierungschef Darlan beunruhigte, war nicht nur die wachsende Resonanz der überall in Frankreich zu empfangenden französischen Rundfunksendungen der BBC, einschließlich der von London aus ausgestrahlten Propaganda von de Gaulles «France libre», sondern auch Arbeitsniederlegungen wie der Streik der Bergleute im Departement Pas-de-Calais im Mai 1941, der sich gegen die enge Zusammenarbeit der Zechenleitung mit der Besatzungsmacht richtete.
Das Vichy-Regime antwortete auf die Unruhe in der Bevölkerung mit dem Verbot aller politischen Versammlungen, einer neuen Welle von Säuberungen (épurations), von der vor allem die Freimaurer betroffenwaren, der Verdoppelung der Polizeikräfte und der gezielten Förderung des Frontkämpferverbandes, der Légion française des combattants, der im November 1941 in der Légion française des combattants et des volontiers de la Révolution nationale aufging. Seinen letzten Kern bildete der im Januar gegründete, uniformierte Service d’ordre légionnaire (SOL), der sich unter seinem Chef, dem philofaschistischen Joseph Darnand, einem unerbittlichen Kampf gegen Gaullisten, Bolschewisten, Freimaurer und nicht zuletzt Juden verschrieb.
Als der État français im Juli 1940 entstand, lebten im französischen Mutterland (ohne Algerien) etwa 330.000 Juden. Davon waren 200.000 französische Staatsbürger. Unter den 130.000 ausländischen Juden befanden sich 90.000 Polen, Russen, Deutsche, Österreicher und Rumänen sowie 40.000 Flüchtlinge aus den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Dazu kamen im Oktober 1940 fast 7000 Juden aus Baden und der Saarpfalz, die das Reichssicherheitshauptamt ohne Rücksprache mit Vichy ins unbesetzte Frankreich deportieren ließ.
Die Internierung ausländischer Juden und anderer unerwünschter Ausländer in improvisiert errichteten Lagern hatte bereits im Herbst 1939 begonnen. Die Lebensverhältnisse in Lagern wie Gurs, Les Milles und Rivesaltes waren so katastrophal, daß viele Insassen an Krankheit, Hunger und Entkräftung starben. Von Gurs behauptete der Schriftsteller Arthur Koestler, der dort im Winter 1939/40 interniert war, es sei schlimmer gewesen als ein «Nazi-Konzentrationslager, was die Nahrung, die Einrichtung und die Hygiene betrifft». In dem von den Deutschen besetzten Teil Frankreichs belief sich die Zahl der Lagerinsassen 1942 auf 15.000, im unbesetzten Teil zeitweilig auf 50.000 Menschen, darunter neben Juden und nichtjüdischen Emigranten auch Sinti und Roma ohne französischen Paß.
Ende März 1942 ließ die Besatzungsmacht erstmals 1000 Juden, die meisten von ihnen französische Staatsbürger, von Bourget aus nach Osten, in das Konzentrationslager Auschwitz, deportieren. Vom 7. Juni 1942 ab mußten alle Juden im besetzten Teil Frankreichs den Judenstern tragen. Im unbesetzten Teil des Landes blieben die Juden von dieser Maßnahme zunächst noch verschont, weil die Regierung, an deren Spitze seit dem 18. August wieder Pierre Laval stand, negative Reaktionen der Bevölkerung befürchtete. Der von Laval ernannte neue Generaldirektor der französischen Polizei, René Bousquet, sicherte der deutschen Seite eine Mitwirkung der von ihm befehligten Polizistenbei antijüdischen Aktionen gegen das Versprechen zu, daß davon als erste ausländische Juden betroffen sein sollten.
Daß auch Kinder unter 16 Jahren deportiert werden konnten, obwohl die deutsche Seite das noch gar nicht verlangt hatte, ging auf Laval zurück: Der Chef der Regierung in Vichy wollte nicht, daß sich
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