Geschichte des Westens
erkennen.
Der Mann, der den größten Anteil daran hatte, daß der amerikanische Isolationismus schließlich überwunden wurde, erlebte das Kriegsende und die Gründung der Vereinten Nationen nicht mehr. Franklin Delano Roosevelt starb am 12. April 1945 im Alter von 63 Jahren an Herzversagen. Er hatte lange gebraucht, um zu der Einsicht zu gelangen, daß die USA nur dann eine Zukunft als Weltmacht haben würden, wenn sie sich an die Spitze des Kampfes gegen Hitler stellten. Seinem Bundesgenossen Stalin trat er, was dessen längerfristige Ziele anging, mit nachgerade bestürzender Naivität gegenüber. Als er in Jalta zu Protokoll gab, daß die Vereinigten Staaten nicht länger als zwei Jahre über den Krieg hinaus Truppen in Europa zu belassen gedächten, setzte er ungewollt alles aufs Spiel, wofür amerikanische Soldaten in Europa gekämpft hatten und weiter kämpften.
Doch es waren vor allem sein Charisma und seine Willensstärke, die Amerika aus der tiefen Depression der dreißiger Jahre hinausgeführt und dorthin gebracht hatten, wo es im Frühjahr 1945 stand.Seinem Nachfolger Harry S. Truman, einem gescheiterten Ladenbesitzer und hernach höchst erfolgreichen Senator seines Heimatstaates Missouri, fehlte vieles von dem, was «FDR» zu einem der großen Präsidenten der USA gemacht hatte, und zudem jede außenpolitische Erfahrung. Aber Truman war lernfähig und besaß, wie sich bald zeigen sollte, genügend Intelligenz und Instinkt, um die Herausforderungen zu meistern, vor die er sich seit dem 12. April 1945 als 33. Präsident der Vereinigten Staaten gestellt sah.[ 23 ]
Vollzug einer Sendung:
Die «Endlösung der Judenfrage» (III)
Während die Alliierten die neue Weltordnung vorbereiteten, die nach dem Krieg entstehen sollte, bemühte sich das nationalsozialistische Deutschland, seine vermeintliche weltgeschichtliche Sendung zu vollenden: die Ausrottung des europäischen Judentums. Die wenigen deutschen Juden, die um die Jahreswende 1944/45 noch nicht aus dem Reichsgebiet deportiert worden waren, lebten entweder in sogenannten «privilegierten Mischehen», bei denen ein Partner «arisch» war, oder hatten, was sehr selten war, ihre jüdische Herkunft verschleiern können oder wurden von nichtjüdischen Deutschen versteckt. Die jüdischen Partner einer «Mischehe» waren völlig entrechtet; sie mußten den Judenstern tragen, mit ihren Ehepartnern in besonderen «Judenhäusern» leben und ständig damit rechnen, doch noch in den Sog des Vernichtungsprozesses zu geraten.
Existenziell bedroht fühlten sich auch viele «Mischlinge», vor allem jene «ersten Grades», die sogenannten «Halbjuden», und das auch dann, wenn sie nicht zu den Geltungsjuden rechneten. («Geltungsjuden» waren «Mischlinge», die zwei jüdische Großeltern hatten, mit einem jüdischen Ehepartner verheiratet waren oder dem jüdischen Glauben angehörten.) «Halbjuden» und «Vierteljuden» wurden vielfach diskriminiert und schikaniert – seit 1941 aus der Wehrmacht entlassen, als Beamte in den Ruhestand versetzt und mit Berufsverboten belegt, «Halbjuden» seit März 1944 zur Zwangsarbeit in Sondereinheiten der «Organisation Todt» eingezogen. Im Dezember 1942 entschied das Reichserziehungsministerium, daß «Mischlinge zweiten Grades» zwar für das Studium der Medizin, der Zahnmedizin und derPharmazie immatrikuliert werden durften, nicht jedoch für das der Veterinärmedizin. Dem Erlaß lag die Annahme zugrunde, daß «arische» Deutsche sich vielleicht selbst, nicht aber ihre Tiere von einem «Vierteljuden» behandeln lassen würden. Über Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Behandlung von «Mischlingen» hatte die Parteikanzlei, in letzter Instanz also Hitler selbst, zu entscheiden. Das Reichssicherheitshauptamt war seinerseits darauf aus, so viele «Mischlinge» wie möglich in die Vernichtung einzubeziehen.
Unter den außerhalb Deutschlands errichteten Konzentrationslagern gab es eines, das einen Sonderstatus hatte: Theresienstadt im Protektorat Böhmen und Mähren. Es war teils ein Ghetto, teils eine Durchgangsstation auf dem Weg in die Vernichtung. Saul Friedländer beschreibt das «Doppelgesicht» des Lagers Theresienstadt wie folgt: «Einerseits gingen Transporte nach Auschwitz und Treblinka ab, andererseits errichteten die Deutschen ein ‹Potemkinsches Dorf›, mit dem die Welt getäuscht werden sollte.» Zu den «Annehmlichkeiten» des Lagers gehörten ein Kaffeehaus, Konzert- und Theateraufführungen, ein
Weitere Kostenlose Bücher