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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Leseraum und eine Bank. Nach Theresienstadt wurden im Januar 1943 Leo Baeck und andere führende Mitglieder der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, im Oktober des Jahres die wenigen dänischen Juden deportiert, die die Gestapo hatte verhaften können. Im Juni 1943 wurde einer Kommission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) ein Besuch des Lagers gestattet. Für den Fall, daß die Kommission darauf bestehen sollte, die endgültige Aufnahmestelle zu besichtigen, in die Juden von Theresienstadt aus deportiert wurden, hatte der Leiter des Judenreferates des Reichssicherheitshauptamtes, Adolf Eichmann, die Errichtung eines «Familienlagers» in Auschwitz-Birkenau angeordnet. Seine Insassen wurden vorläufig nicht vergast. Das geschah erst, als klar war, daß die Kommission den erwarteten Antrag nicht stellen würde.
    Im Herbst 1944 wurde in Theresienstadt ein Propagandafilm gedreht, dem die Häftlinge den ironischen Titel «Der Führer schenkt den Juden eine Stadt» gaben. (Der offizielle Titel lautete «Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet».) Der Film zeigte Theresienstadt als einen fast schon luxuriös ausgestatteten Erholungsort mit Schulen, Parks, Schwimmbädern, Fußballturnieren und einem reichen Kulturangebot. Die Regie lag in den Händen des bekannten jüdischen Schauspielers Kurt Gerron, eines der vielen «Prominenten»unter den Lagerinsassen. Kurz nach Beendigung der Dreharbeiten wurde Gerron auf dem letzten Transport von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort am 8. Oktober 1944 ermordet.
    Öffentliche Aufführungen des Films fanden nicht statt. Sehen durfte ihn aber im April 1945 eine zweite Kommission des IKRK, die Theresienstadt besuchte und anschließend in Genf von dem Lager als «einem kleinen jüdischen Staat» berichtete. Insgesamt wurden seit November 1941 über 140.000 Juden und «Mischlinge» nach Theresienstadt gebracht. Knapp 33.000 von ihnen starben dort, etwa 88.000 wurden in die Vernichtungslager deportiert. Bei der Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 lebten in Theresienstadt noch knapp 17.000 Juden. Einer von ihnen war der ehemalige Vorsitzende der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Leo Baeck.
    Einen besonders dramatischen Verlauf nahm die «Endlösung» in Ungarn, das im März 1944 von deutschen Truppen besetzt worden war. Bis zum 9. Juli gelang es Eichmann und seinen Mitarbeitern, 438.000 Juden aus den ungarischen Provinzen, beginnend mit der Karpato-Ukraine und Nordsiebenbürgen, nach Auschwitz zu deportieren, wo 394.000 von ihnen sofort vergast wurden. In der Hauptstadt lebten um diese Zeit noch 200.000 Juden. Seit dem Frühjahr gab es Versuche eines jüdischen «Hilfs- und Rettungs-Komitees», der «Va’adat Ezra Vehazala», der SS das Leben der noch nicht deportierten Juden abzukaufen. Eichmann ging im Auftrag Himmlers auf diesen Gedanken ein, und zwar in der Weise, daß er im April 1944 von dem jüdischen Unterhändler Joel Brand für eine Million Juden die Lieferung von Gütern, darunter 10.000 winterfeste Lastwagen, verlangte, die von den Westalliierten gestellt und nur an der Ostfront eingesetzt werden sollten.
    Himmlers Kalkül war es vermutlich, einen Keil zwischen die westlichen Alliierten und ihre sowjetischen Verbündeten zu treiben, ja möglichst die angelsächsischen Mächte für separate Friedensverhandlungen und anschließend für ein gemeinsames Vorgehen gegen die bolschewistische Großmacht im Osten zu gewinnen. Um dieses Zieles willen wäre der Reichsführer SS sogar wohl bereit gewesen, die Ausrottung der europäischen Juden abzubrechen oder zumindest Abstriche an dem Vorhaben in Kauf zu nehmen. Doch die Westmächte dachten nicht an ein solches «renversement des alliances», das gegen Hitler durchzusetzen Himmler im übrigen gar nicht die Macht gehabt hätte.Die jüdischen Unterhändler wurden von Istanbul, wohin sie von Wien aus gelangt waren, nach Kairo gebracht und dort von den britischen Autoritäten verhört und interniert. Der von Eichmann vorgeschlagene «deal» kam nicht zustande.
    Ein anderes Tauschgeschäft fand tatsächlich statt: Rudolf Kastner, einem der Führer der «Va’adat», gelang es Ende Juni, gegen Bezahlung von 1000 Dollar für einen Juden 1684 Juden von Budapest auf dem (unerwarteten) Umweg über Bergen-Belsen in die Schweiz ausreisen zu lassen. Die Eidgenossenschaft war bereit, die ungarischen Juden bei sich aufzunehmen, und sie hatte auch kaum eine

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