Geschichte des Westens
schaffen» und zum frühestmöglichen Zeitpunkt «durch freie Wahlen Regierungen einzusetzen, welche dem Willen des Volkes entsprachen».
Das letzte Versprechen war das Papier nicht wert, auf dem es stand. Die Westmächte überließen große Teile Südost- und Ostmitteleuropas der Oberherrschaft der Macht, die dort infolge des Vormarsches ihrer Armeen militärisch bereits das Sagen hatte und ohne Krieg aus ihrem neuen Einflußbereich, dem einstigen antibolschewistischen «Cordon sanitaire» der Zwischenkriegszeit, nicht mehr zu vertreiben war: der Sowjetunion. Polen war nur eines der Länder, die sich dem Diktat der neuen machtpolitischen Realitäten zu fügen hatten.
Drei ehedem unabhängige Staaten, die baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen, waren weder in Teheran noch in Jalta ein Verhandlungsgegenstand. Stalin bestand mit Erfolg darauf, daß die Westmächte sich mit der Zugehörigkeit dieser Länder zur Sowjetunion, einem Ergebnis der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit zwischen 1939 und 1941, abfanden. Churchill hatte sich schon im März 1942 bereit gezeigt, der Sowjetunion den Bestand in den Grenzen vom Juni 1941 zuzugestehen. Im August 1942 wurden die Gesandten der drei baltischen Staaten in London von der Liste der diplomatischen Vertreter gestrichen. Die USA hielten zwar de jure an der Fortexistenz der baltischen Staaten fest, nahmen die sowjetische Annexion jedoch de facto hin. Das letztere galt auch für eine Folge der Sowjetisierung des Baltikums: die Deportation großer Teile der bürgerlichen Eliten und von Hunderttausenden von Bauern, die sich der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft widersetzten, nach Sibirien. Die Bundesgenossenschaft mit Stalin forderte einen hohen moralischen Preis: die Desavouierung der Prinzipien der Atlantikcharta vom August 1941, zu denen sich offiziell auch die Sowjetunion bekannte, seit sie am 1. Januar 1942 in Washington den Pakt der «Vereinten Nationen» unterzeichnet hatte.
Unter «Vereinten Nationen» verstand man zu jener Zeit die 26 Staaten, die bis dahin Deutschland den Krieg erklärt hatten. Für Roosevelt aber bedeutete der Begriff sehr viel mehr: Er stand für seine Vision einergerechten Weltfriedensordnung oder eines globalen «New Deal» – eine Vision, die jener Wilsons von 1917/18 sehr ähnlich war, aber anders als diese eine gute Chance hatte, nicht von innenpolitischen Gegnern um ihre Wirkung gebracht zu werden. An die Stelle des Völkerbundes, der seit 1939 keine reale Bedeutung mehr besaß, sollte nach dem Willen des Präsidenten ein an universalen Prinzipien ausgerichtetes, von den Großmächten verantwortungsbewußt geführtes, handlungsfähiges System der kollektiven Sicherheit, die United Nations Organization (UNO), treten.
Da die USA sich nicht überstimmen lassen wollten, mußten sie, wie alle Großmächte, über ein weitreichendes Vetorecht im wichtigsten Organ der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat, verfügen. Mit der bedeutendsten Großmacht neben den USA, der Sowjetunion, galt es ein grundsätzliches Einvernehmen herzustellen, um den Weltfrieden dauerhaft zu sichern. Der Völkerbund war 1919 geschaffen worden, um den aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangenen Status quo zu sichern. Die Vereinten Nationen, wie sie Roosevelt vorschwebten, befanden sich 1945 in einer womöglich noch schwierigeren Situation. Sie stellten, wie der Historiker und Politikwissenschaftler Waldemar Besson treffend formuliert hat, «eine Weltregierung zur Erhaltung eines Status quo dar, der noch gar nicht festgelegt war».
Stalin hatte dem amerikanischen Projekt zunächst skeptisch, ja ablehnend gegenübergestanden, dann aber 1943 begonnen, seine Position zu ändern. Auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom Oktober jenes Jahres stimmte Molotow dem Vorschlag zu, nach der Niederwerfung der Achsenmächte eine Weltorganisation zur Aufrechterhaltung des Friedens zu schaffen. In interalliierten Expertengesprächen in Dumbarton Oaks im District of Columbia wurden zwischen dem 21. August und dem 7. Oktober 1944 die Struktur und Funktionsweise der Organisation der Vereinten Nationen, einschließlich des künftigen Internationalen Gerichtshofes, beraten, wobei die beiden angelsächsischen Mächte zuerst mit der Sowjetunion und dann mit dem von den USA als vierter Großmacht protegierten China Tschiang Kai-scheks verhandelten.
Das Ergebnis waren die Grundzüge der künftigen Charta der Vereinten Nationen: Der Sicherheitsrat sollte, anders als
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