Geschichte des Westens
später bewußt werden: Ihr Selbstverständnis als Nation konnte nach dem, was sie den Juden angetan hatten, nie mehr dasselbe sein wie in der Zeit vor der tiefsten Zäsur der deutschen Geschichte: der Machtübertragung an Hitler im Jahr 1933.[ 24 ]
Kriegsende (I): Der Untergang des Deutschen Reiches
D Als das Jahr 1944 zu Ende ging, war der von Hitler angeordnete letzte große Vorstoß an der Westfront, die Ardennenoffensive, faktisch bereits gescheitert. Die Alliierten verloren dabei 76.000, die Deutschen 90.000 Mann. Der «Führer» erreichte mit dem Unternehmen lediglich, daß der Einmarsch der Amerikaner und Briten in Deutschland sechs Wochen später stattfand als geplant. Am 7. März 1945 fiel die unzerstörte Rheinbrücke bei Remagen nach heftigen Kämpfen in die Hände der Amerikaner. Sie errichteten dort ihren ersten Brückenkopf rechts des Rheins und gewannen damit eine Ausgangsposition für Vorstöße ins Bergische Land und ins Ruhrgebiet.
Die letzte Großoffensive der Roten Armee begann am 12. Januar 1945. Die Front verlief danach von der Memel über Warschau bis zu den Karpaten. Östlich davon gab es deutsche Truppen noch im «Kurlandkessel», den zu räumen sich Hitler hartnäckig weigerte. Da die Wehrmacht in Folge der Ardennenoffensive im Osten über keine Reserven mehr verfügte, konnten die sowjetischen Truppen binnen weniger Tage weit nach Westen vordringen. Ende Januar nahmen sie das unzerstört gebliebene oberschlesische Industriegebiet ein – ein tief einschneidender Vorgang, der Rüstungsminister Albert Speer zu einer Denkschrift an Hitler veranlaßte, die in der Feststellung gipfelte, die Kriegsbereitschaft und die Rüstungsproduktion des Reiches stünden damit vor dem Ende. Am 31. Januar errichtete Marschall Schukow einen Brückenkopf bei Küstrin an der Oder. Am gleichen Tag wurde Königsberg, wenn auch zunächst nur vorübergehend, eingeschlossen. Am 4. März gelang es den sowjetischen Truppen, durch einen Vorstoß zur Ostsee Ostpreußen vom übrigen Reich abzuschneiden.
Eine rechtzeitige Evakuierung der ostpreußischen Bevölkerung hatte Gauleiter Erich Koch konsequent verhindert, so daß die überstürzte Flucht nun für Zehntausende zur Katastrophe wurde. Viele Trecks wurden von sowjetischen Panzern überrollt oder von Tieffliegern beschossen; Pferdefuhrwerke brachen auf der teilweise dünnen Eisdecke des Frischen Haffes ein. Wer im kleinen Hafen von Pillau ein Schiff erreichte, war damit noch nicht gerettet. Von den Schiffen, die die Kriegsmarine nach Ostpreußen beordert hatte, wurden mehrere, darunter der ehemalige «Kraft-durch-Freude»-Dampfer «WilhelmGustloff», durch feindlichen Beschuß versenkt. 25.000 Menschen kamen bei der Flucht über die Ostsee nach Schleswig-Holstein oder Dänemark ums Leben. Schrecklich war auch das Schicksal der Ostpreußen, die der vorrückenden Roten Armee nicht mehr entkamen. Ungezählte Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, arbeitsfähige Männer und Frauen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, Menschen aller Altersstufen wahllos getötet. Auf über 100.000 wird die Zahl der Todesopfer unter den deutschen Zivilisten geschätzt, denen die Flucht nach Westen nicht gelang, oder die zu alt oder zu krank waren, um ihre Wohnungen zu verlassen.
Zehntausende von Flüchtlingen, die auf dem Landweg westwärts unterwegs waren, hielten sich Mitte Februar in und um Dresden auf. Dieser Sachverhalt war auch den Westalliierten bekannt, hinderte sie aber nicht daran, am 13./14. Februar das weltberühmte «Elbflorenz», das auch ein wichtiges Industriezentrum war, in ein flammendes Inferno zu verwandeln. Zwei nächtlichen Angriffswellen des britischen Bomber Command mit weit über 7000 Flugzeugen folgte in den Mittagsstunden des 14. Februar ein amerikanisches Bombardement. Zwischen 20.000 und 25.000 Menschen kamen dabei ums Leben.
Neben Hamburg, wo im Zuge der Operation «Gomorrha» im Juli 1943 35.000 Menschen starben, gehört Dresden zu den Städten, deren Zerstörung im Bombenkrieg sich dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen besonders eingeprägt hat. Das Flächenbombardement deutscher Städte war ein integraler, auf der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 ausdrücklich beschlossener Bestandteil der alliierten Kriegführung. Die Luftangriffe galten nicht nur den Zentren der deutschen Industrie- und Rüstungsproduktion sowie den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten und Hafenanlagen des Reiches, also strategischen Zielen, sondern
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