Geschichte des Westens
Kommunisten besetzten in seiner Regierung vier Ministerien, darunter das des Innern, und sicherten sich dadurch die Verfügung über die Polizei. Unter sowjetischer Ägide entstanden in allen Ortschaften Nationale Komitees, die gesetzesvertretende Verordnungen erließen, Gerichtsentscheidungen annullierten und Verhaftungen anordneten. Im März 1945 erzwang die Kommunistische Partei eine Agrarreform, die nicht nur den Großgrundbesitz, sondern auch mittlere Güter beseitigte und ein kaum rentables Kleinstbauerntum schuf, von dem die Kommunisten hofften, daß es sich später freiwillig in den Schutz einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, also einer kollektiv organisierten Landwirtschaft, begeben würde.
In der wiederentstehenden Tschechoslowakei profitierte die Sowjetregierung davon, daß sich die Exilregierung unter Edvard Beneš seit 1943 Moskau angenähert und im Dezember jenes Jahres mit der Sowjetunion einen Freundschafts- und Beistandsvertrag geschlossen hatte. Obwohl die Sowjetunion sich im Dezember 1944 die Karpato-Ukraine, einen Teil der früheren Tschechoslowakei, einverleibte, setzte Beneš diesen Kurs unbeirrt fort. Ende Januar 1945 brach seine Regierungdie Beziehungen zur polnischen Exilregierung in London ab und erkannte statt ihrer das prosowjetische Lubliner Komitee als provisorische Regierung Polens an. Kein anderes Land war Stalin bis zu diesem Zeitpunkt in Sachen Polen derart weit entgegengekommen.
Im März 1945 verständigten sich die tschechoslowakischen Exilgruppen unter maßgeblicher Beteiligung der Kommunisten in Moskau auf ein gemeinsames Programm – die Grundlage der am 5. April im slowakischen Kaschau (Košice) gebildeten Regierung der Nationalen Front der Tschechen und Slowaken unter dem Sozialdemokraten Zdenek Fierlinger, in der der kommunistische Parteiführer Klement Gottwald einer der stellvertretenden Ministerpräsidenten und der mit den Kommunisten sympathisierende General Ludvík Svoboda Innenminister wurde. Das Amt des Staatspräsidenten übernahm wieder Beneš. Die Vereinbarungen sahen die Nationalisierung von Schwerindustrie, Bergbau und Banken und eine durchgreifende Bodenreform vor. Der Slowakei wurde weitgehende Autonomie zugesagt. Den Deutschen und Ungarn, soweit sie nicht aktiv gegen die separatistischen Kräfte gekämpft hatten, entzog die Übereinkunft der Nationalen Front die Staatsbürgerschaft. Das Münchner Abkommen vom September 1938, das die Tschechoslowakei zur Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland gezwungen hatte, war auf Drängen Beneš’ bereits im Juli 1942 vom britischen Kriegskabinett annulliert worden. Gleichzeitig hatte die Londoner Regierung ihr Einverständnis mit einer Umsiedlung der deutschen Minderheit erklärt.
Die «Beneš-Dekrete», von der Provisorischen Nationalversammlung am 18. März 1946 nachträglich gebilligte Präsidialerlasse aus der Zeit von Mai bis Oktober 1945, schufen die quasigesetzliche Grundlage für die nachträgliche Aberkennung der Staatsbürgerschaft der meisten Deutschen und Magyaren, ihre entschädigungslose Enteignung, den Einzug ihrer Sparguthaben, ihre Arbeitspflicht zwecks Entfernung von Kriegsschäden und die Bestrafung der nationalsozialistischen Verbrecher, von Verrätern und Helfershelfern. In der Phase der «wilden» Vertreibungen bis zur praktischen Umsetzung der entsprechenden Beschlüsse der Potsdamer Dreimächtekonferenz ab Ende Januar 1946 wurden etwa 800.000 Deutsche vertrieben. Dabei kam es zu furchtbaren Gewalttaten von aus dem Exil zurückgekehrten Truppenverbänden, von Revolutionsgarden, mancherorts aber auch von Zivilisten. Massaker fanden zwischen Mai und Juli 1945 in Landskron (Landskroun),Postelberg (Postoloprty), Saaz (Zatec) und Aussig (Ústí nad Labem) statt. Hunderte von Menschen kamen bei der Deportation der Deutschen aus Brünn zur österreichischen Grenze ums Leben, die meisten von ihnen infolge von Krankheiten und fehlender Versorgung mit dem Nötigsten. Ungezählt blieben die Selbstmorde von Sudetendeutschen in Arbeits- und Internierungslagern, in denen sie sich bis zur «regulären» Ausweisung aufhalten mußten.
Vorsichtige Schätzungen der Zahl der Deutschen, die bei den «wilden» Vertreibungen aus der Tschechoslowakei zu Tode kamen, belaufen sich auf 13.000 bis 30.000. Ein von der Provisorischen Nationalversammlung verabschiedetes Gesetz vom 8. Mai 1946 verfügte nachträglich die Straffreiheit derer, die im Zuge der «odsun» (Abschiebung) gegen
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