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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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schien geeignet, dem Wiedererstehen einer starken Zentralgewalt einen Riegel vorzuschieben. Angesichts der Erfahrungen mit dem totalitären Einheitsstaat des «Dritten Reiches» durfte man auch erwarten, daß viele Deutsche einem ausgeprägten Föderalismus Sympathie entgegenbringen würden. Die sowjetische Besatzungsmacht gab sich ebenfalls föderalistisch: Sie gliederte am 9. Juli ihre Zone in die fünf Länder Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Gegenüber den kurz zuvor gebildeten, weithin von Kommunisten kontrollierten, der SMAD unterstellten elf Zentralverwaltungen der Sowjetzone hatten die Landesregierungen freilich nur geringes Gewicht.
    In den Westzonen erstreckte sich der Aufbau von Landesverwaltungen über einen längeren Zeitraum, der mit der Ernennung einer bayerischen Regierung unter dem früheren Vorsitzenden der Bayerischen Volkspartei, Fritz Schäffer, als Ministerpräsident durch die Amerikaner am 28. Mai 1945 begann und mit der von der britischen Besatzungsmacht angeordneten Bildung des Landes Niedersachsen am 1. November 1946 endete. Einen Sonderstatus nahm das Saarland ein, das nach den alliierten Vereinbarungen zur französischen Zone gehörte, von Frankreich aber dem eigenen Wirtschaftsgebiet angegliedert, also von Deutschland abgetrennt wurde.
    Einig waren sich die Besatzungsmächte im Prinzip darin, daß es den Nationalsozialismus und den deutschen Militarismus ein für alle Mal zu beseitigen galt. Die «Berliner Erklärung» vom 5. Juni ordnete die Festnahme der «hauptsächlichen Naziführer» und aller noch namhaft zu machenden Personen an, die im Verdacht standen, «Kriegs- oder ähnliche Verbrechen begangen, befohlen oder ihnen Vorschub geleistet zu haben».
    Von Anfang an gab es jedoch auch deutliche Unterschiede zwischen den Alliierten, was die Stoßrichtung und die Methoden des Kampfes gegen den Nationalsozialismus (oder, wie die sowjetischen und deutschen Kommunisten vorzugsweise sagten, «Faschismus») anging. Die westlichen Demokratien wollten in erster Linie schuldig gewordene Personen zur Rechenschaft ziehen, die Sowjetunion darüber hinausdie «Klassenverhältnisse» abschaffen, die nach marxistisch-leninistischer Lesart den «Faschismus» hervorgebracht hatten, und darum dem Junkertum und der kapitalistischen Großbourgeoisie die Herrschaftsgrundlage entziehen. Der «Antifaschismus» hatte im sowjetischen Verständnis vor allem die Funktion, die Hegemonie der Kommunisten zu sichern. Am 14. Juli 1945, dem 14. Jahrestag des Verbots aller politischen Parteien außer der NSDAP, wurde in der sowjetischen Besatzungszone die «Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien», der sogenannte «Antifa-Block», gegründet. Ihm gehörten die KPD, die SPD, die CDU und die Liberaldemokratische Partei Deutschlands an. Die Führungsrolle der KPD wurde nicht formell festgeschrieben, faktisch war sie aber schon damals gewährleistet.
    Das Land, in dem die vier Besatzungsmächte die oberste Regierungsgewalt ausübten, war im Wortsinn weitgehend ruiniert. Die großen und viele mittlere Städte hatten sich durch den alliierten Bombenkrieg in eine Trümmerwüste verwandelt; viele Verkehrsverbindungen, darunter neun Zehntel des Schienennetzes, waren zerstört oder unterbrochen; Millionen von Menschen, neben den Ausgebombten und den Flüchtlingen aus dem Osten Zwangsverschleppte, die sogenannten «Displaced Persons», aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa, darunter Überlebende des Holocaust, waren in primitiven Notunterkünften untergebracht oder auf der Wanderschaft. Die Reichsmark hatte ihren Kaufpreis zum größten Teil verloren; die Ersparnisse der Deutschen waren durch die Art und Weise der nationalsozialistischen Kriegsfinanzierung weitgehend vernichtet; die Versorgung mit Lebensmitteln war so unzulänglich, daß viele, vor allem die Stadtbewohner, Hunger litten; der Brennstoffmangel ließ für die kalte Jahreszeit das Schlimmste befürchten. Radikal erschüttert waren viele der bislang gültigen, gern «bürgerlich» genannten Vorstellungen von Moral, namentlich der Respekt vor fremdem, sei es privatem, sei es öffentlichem, Eigentum.
    Zumindest auf dem Papier galt auch Anfang Juli 1945 noch die vom Geist des Morgenthau-Plans geprägte Direktive JCS 1067 vom Mai, wonach keine Maßnahme ergriffen werden durfte, die die «wirtschaftliche Aufrichtung Deutschlands» oder die «Aufrechterhaltung oder Stärkung der deutschen Wirtschaft» zum Ziel hatte. Wenn

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