Geschichte des Westens
Kapitulationsbedingungen. Die Präambel stellte ausdrücklich fest, daß es «in Deutschland keine zentrale Regierung oder Behörde» gebe, die fähig wäre, «die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Ausführung der Forderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen». Die Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die vier Alliierten schloß «alle Befugnisse der deutschen Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden» ein. Die «Berliner Erklärung» hielt auch fest, was die Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten nicht bewirkte: eine «Annektierung Deutschlands».
Ausgeübt wurde die oberste Regierungsgewalt durch die Oberbefehlshaber in ihrer jeweiligen Besatzungszone und in allen Deutschland als ganzes betreffenden Angelegenheiten gemeinsam in dem von ihnen gebildeten Alliierten Kontrollrat. Entsprechendes galt für die Viersektorenstadt Berlin, wo für die Angelegenheiten, die die gesamte Stadt betrafen, die Alliierte Kommandantur zuständig war. Zwischen dem 1. und dem 4. Juli besetzten sowjetische Truppen die zuvor von den Amerikanern und Briten geräumten westlichen Gebiete von Sachsen,Thüringen und Mecklenburg. Gleichzeitig zogen Amerikaner, Briten und Franzosen in die ihnen vorbehaltenen Sektoren von Berlin ein. Die französische Besatzungszone im Südwesten Deutschlands wurde, wie in Jalta vereinbart, aus dem geplanten Bestand der amerikanischen und der britischen Zone herausgenommen.
Formal ähnlich verfuhren die Alliierten in Österreich. Allerdings wurde in Wien, anders als in Berlin, die Innenstadt gemeinsam von den vier Alliierten verwaltet, und im Unterschied zu Deutschland verfügte Österreich im Sommer 1945 auch bereits über eine eigene Regierung. Am 27. April hatte die Sowjetunion eine provisorische Koalitionsregierung unter dem früheren Staatskanzler Karl Renner eingesetzt, der außer Renners Sozialisten auch die Christlich-Sozialen und die Kommunisten angehörten. Am 1. Mai setzte die Regierung Renner die Verfassung von 1920 (in der Fassung von 1929) wieder in Kraft; eine Woche später veranlaßte sie die Bildung von Landesregierungen in den wiederhergestellten Bundesländern. Am 20. Oktober wurde die provisorische Regierung in Wien von den Westmächten anerkannt.
Die ersten Anzeichen eines politischen Neuanfangs in Deutschland gab es noch vor der Kapitulation des Reiches in der späteren britischen Besatzungszone. Die stärkste Aktivität entfaltete ein früherer sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter: Kurt Schumacher, der im März 1943 nach einem zehnjährigen Martyrium aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen worden war. Am 19. April – neun Tage, nachdem die Amerikaner Hannover besetzt hatten – berief er ebendort ein vorbereitendes Treffen zur Wiedergründung der SPD ein. Am 6. Mai entstand in Hannover der erste sozialdemokratische Ortsverein. Hannover wurde zum «Vorort» der Sozialdemokratischen Partei in der britischen und der amerikanischen Zone, das «Büro Schumacher» zur vorläufigen Parteizentrale.
Die erste Partei, die sich nach dem «Zusammenbruch» neu konstituierte, war die KPD. Ihre Wiedergründung fand am 11. Juni in Berlin statt – einen Tag, nachdem die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Gründung von «antifaschistisch-demokratischen» Parteien und von Gewerkschaften zugelassen hatte. Der Gründungsaufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands war betont national und «reformistisch» gehalten. Die KPD bekannte sich zum freien Handel und zur privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlagedes Privateigentums und äußerte die Auffassung, daß es falsch wäre, «Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen», da dieser Weg nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland entspreche. Vielmehr schrieben die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes Deutschland einen anderen Weg vor: die «Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk».
Offen war im Sommer 1945, wie sich das Verhältnis zwischen KPD und SPD entwickeln würde. Unter den Anhängern beider Parteien waren viele, wenn nicht die meisten der Meinung, daß Hitler ohne die tiefe Spaltung der «marxistischen» Arbeiterbewegung nicht an die Macht gekommen wäre, die Überwindung des historischen Gegensatzes folglich
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