Geschichte des Westens
das Gebot der Stunde sei. Die «Gruppe Ulbricht» räumte, in voller Übereinstimmung mit Stalin, dem Wiederaufbau der KPD die oberste Priorität ein; verfügte die Partei erst einmal über eine schlagkräftige Organisation, konnte und mußte sie die «Einheit der Arbeiterklasse» zu ihren Bedingungen herstellen. Kurt Schumacher war ein entschiedener Gegner aller Vereinigungspläne. In seinen «Politischen Richtlinien für die SPD in ihrem Verhältnis zu den anderen politischen Faktoren» vom August 1945 formulierte er mit unerbittlicher Schärfe: «Die Kommunistische Partei ist unlösbar an eine einzige der Siegermächte, und zwar an Rußland als nationalen und imperialistischen Staat und seine außenpolitischen Ziele gebunden.» In dem Maß, wie Schumacher seine Stellung in der Sozialdemokratie der westlichen Besatzungszonen festigte, wurde diese Position auch die der West-SPD.
Die erste «bürgerliche» Partei, die nach dem Krieg neu entstand, war die Christlich-Demokratische Union (CDU). Sie war ein Versuch, den Konfessionalismus in Deutschland zu überwinden und Katholiken und Protestanten in einer alle Schichten ansprechenden Volkspartei zusammenzuführen. Die Gründungsorte waren Köln, Berlin und Frankfurt, wo im Juni 1945 die ersten Zusammenschlüsse erfolgten. Der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer, der von den Amerikanern am 4. Mai 1945 wieder in sein früheres Amt als Oberbürgermeister von Köln eingesetzt worden war, gehörte
nicht
zu den Parteigründern: Er schwankte in den ersten Monaten nach Kriegsende noch, ob er das katholische Zentrum wiederbeleben oder sich der neuen interkonfessionellen Partei anschließen sollte. Erst Ende August trat er indie CDU ein. Im Juli 1945 begann sich auch der deutsche Liberalismus neu zu formieren – unter verschiedenen Namen, aber mit dem gemeinsamen Ziel, die alte Spaltung in eine links- und eine rechtsliberale Partei zu vermeiden.
Die amerikanische Besatzungsmacht hielt sich gegenüber deutschen Parteigründungen zunächst zurück. Die Direktive 1067 der Joint Chiefs of Staff (JCS), die Präsident Truman am 10. Mai bestätigte, verkündete nicht nur die Maxime, daß die amerikanische Politik nicht auf die Befreiung, sondern auf die Besetzung Deutschlands als besiegter Feindstaat abziele. Sie enthielt darüber hinaus auch ein Verbot jeglicher politischen Betätigung. Durchhalten ließ sich diese Maßgabe in der Praxis ebensowenig wie die in der gleichen Direktive ausgegebene Parole «No fraternization» (Keine Verbrüderung). Wenn man die Deutschen «umerziehen», aus Anhängern des Nationalsozialismus Demokraten machen wollte, mußte man ihnen die Gelegenheit geben, sich in politischer Verantwortung zu üben. Da das 1945 auf höherer Ebene noch nicht möglich war, galt es «unten», auf gemeindlicher und kommunaler Ebene, anzufangen. Die Amerikaner vertrauten viel zu sehr der Idee der «Graswurzeldemokratie», als daß sie sich über längere Zeit hinweg dieser Einsicht hätten verweigern können.
In den Gemeinden und Städten der amerikanischen Zone, vor allem in Bayern, waren es häufig katholische Pfarrer, wenig später auch frühere Gewerkschaftsführer, deren Urteil die Besatzungsoffiziere und ihre Berater einholten, wenn es um die Frage ging, welche Deutschen man mit Verwaltungsaufgaben betrauen konnte. Wichtig waren auch der Sachverstand und die personellen Kenntnisse deutscher Emigranten, von denen einige in enger Abstimmung mit dem Exil-Vorstand der SPD in London vom amerikanischen Geheimdienst, dem Office of Strategic Services, schon im März 1945 nach Deutschland eingeschleust wurden und mancherorts eine aktive Rolle bei der Bildung «antifaschistischer» Arbeiterinitiativen spielten. Von deutschen Emigranten waren auch die «Weißen Listen» zusammengestellt worden, die die Namen politisch unbelasteter Deutscher und erwiesener Hitler-Gegner enthielten. Die Unterstützung, die die sowjetische Besatzungsmacht deutschen Parteigründungen zuteil werden ließ, tat ein übriges, um das politische Betätigungsverbot im Sommer 1945 zu Fall zu bringen. Wenn die demokratischen Prinzipien, zu denen sich die Westmächte bekannten, sich auch in Deutschland durchsetzen sollten,mußte man auf die Kräfte zurückgreifen, die die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, getragen hatten.
Älter als die demokratische war eine andere deutsche Tradition, die die westlichen Alliierten ihren Zwecken nutzbar zu machen suchten: die föderalistische. Sie
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