Geschichte des Westens
die Rettung der Welt.»
Truman bestritt zwar sogleich, daß er eine amerikanisch-sowjetische Vorkonferenz auf höchster Ebene beabsichtigt habe, die Befürchtungen Churchills, der neue Präsident könne gegenüber der Sowjetunion eine Politik des Appeasement verfolgen, vermochte er aber nicht zu entkräften. Unter dem Einfluß von Außenminister James F. Byrnes, Joseph Davies und Harry Hopkins, dem früheren engsten Berater Roosevelts, neigte Truman in den ersten Monaten seiner Amtszeit dazu, in Stalin den pragmatischen Führer einer fürs erste saturiertenMacht und in Churchill einen das sowjetische Expansionsstreben maßlos übertreibenden, fast schon hysterischen Antikommunisten zu sehen. In den Verhandlungen, die Hopkins im Auftrag des Präsidenten Ende Mai und Anfang Juni 1945 mit Stalin in Moskau führte, fielen die Würfel über das künftige Schicksal Polens: Der Washingtoner Emissär stimmte jener letztlich nur symbolischen Erweiterung des kommunistisch dominierten Warschauer Kabinetts um exilpolnische und «bürgerliche» Politiker zu, die dann Anfang Juli von Washington und London mit der diplomatischen Anerkennung der Regierung Osóbka-Morawski honoriert wurde. Truman lag zu dieser Zeit alles daran, die Sowjetunion zu einem baldigen Eintritt in den Krieg gegen Japan zu bewegen und die amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit über das Kriegsende hinaus aufrechtzuerhalten.
Die sowjetische Politik war nicht der einzige Grund, weshalb Churchill sich für die rasche Einberufung einer amerikanisch-britisch-sowjetischen Dreierkonferenz aussprach. Als er sein Memorandum vom 27. Mai verfaßte, stand er schon nicht mehr an der Spitze einer «Nationalen Regierung», sondern eines rein konservativen Kabinetts. Die Labour Party hatte auf ihrem Parteitag in Blackpool beschlossen, aus der faktischen Allparteienregierung auszuscheiden, woraufhin Churchill König Georg VI. am 23. Mai sein Rücktrittsgesuch unterbreitete und von diesem erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Eine der ersten Amtshandlungen des wiederernannten Premierministers war die Auflösung des im November 1935 gewählten Unterhauses, das seine Legislaturperiode wegen des Krieges zweimal, zuletzt im Dezember 1944, verlängert hatte. Die Neuwahl wurde auf den 5. Juli angesetzt. Der frühe Termin lag im Interesse der Tories, die ganz darauf setzten, daß Churchills Popularität als Kriegspremier sich bei Wahlen kurz nach dem Sieg über Deutschland zu ihren Gunsten auswirken würde. Da die meisten britischen Soldaten nur im Ausland abstimmen konnten und der Transport ihrer Wahlurnen Zeit beanspruchte, beschloß das Unterhaus, die Urnen für die Dauer von drei Wochen zu versiegeln. Das Wahlergebnis konnte folglich erst am 26. Juli bekanntgegeben werden. Der Wahlausgang war bis dahin ungewiß. Die Dreierkonferenz mußte also, soweit es nach Churchill ging, vorher zusammentreten – zu einem Zeitpunkt, an dem niemand bezweifeln konnte, daß
er
der britische Premierminister war.
Als Termin der Konferenz verständigten sich Truman, Churchill und Stalin Ende Mai auf den 15. Juli, als Ort auf Berlin. Tatsächlich begann das Treffen zwei Tage später als zunächst geplant und nicht in der zerstörten ehemaligen Reichshauptstadt, sondern im benachbarten, etwas weniger verwüsteten Potsdam. Das überragende Thema der ersten acht Tage war die polnische Westgrenze. Stalin forderte unter Berufung auf das Verlangen der polnischen Regierung einen Grenzverlauf an Oder und Lausitzer (oder Görlitzer) Neiße, während Churchill und, mit deutlich geringerem Nachdruck, Truman auf einer weiter östlich gelegenen Grenze, entlang der Oder und der Glatzer Neiße, bestanden. Das Hauptargument des britischen Premierministers war, daß die Bevölkerung zwischen den beiden gleichnamigen Flüssen rein deutsch war und Deutschland genug Probleme hatte, Millionen von Vertriebenen aus den Ostgebieten unterzubringen und zu versorgen; die Lebensmittel und das Brennmaterial innerhalb der Grenzen von 1937 müßten für alle Deutschen verfügbar sein, unabhängig von der Zone, in der sie lebten. In diesem Standpunkt ließ sich Churchill auch nicht von der polnischen Delegation unter Staatspräsident Bierut beirren, die den Vertretern der drei Mächte am 24. Juli ihre Position darlegen konnte.
Am folgenden Tag flog der britische Premier nach London zurück, um zugegen zu sein, wenn am 26. Juli das Wahlergebnis bekanntgegeben wurde. Die überlegene Siegerin war zur
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