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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Staatsrat oder Landessejm (wobei nur ein Teil der Mitglieder von den Kreistagen und Stadträten gewählt, ein anderer von der Regentschaft ernannt wurde).
    An einen Sieg der Mittelmächte glaubten um diese Zeit nur noch wenige Polen; die militärische Wende vom August 1918 beseitigte die letzten Zweifel. Ende September wurde eine von General Józef Haller befehligte Freiwilligenarmee in Frankreich, die etwa 20.000 Mann zählte, durch eine französisch-polnische Militärkonvention als alliierte und kriegführende Armee anerkannt. Am 8. Oktober legte Roman Dmowski Präsident Wilson namens des Polnischen Nationalkomitees,der von den Alliierten bislang nicht anerkannten Exilregierung, eine Denkschrift vor, die die Bildung einer großen, unabhängigen polnischen Republik als «Schanze gegen den deutschen Drang nach Osten» vorschlug. Zum neuen polnischen Staat sollten außer Kongreßpolen im Westen Posen, Westpreußen, Oberschlesien sowie Teile Ostpreußens gehören, im Süden Galizien und das kleine schlesische, teils polnisch-, teils tschechischsprachige Herzogtum Teschen, im Osten große Teile des historischen Großfürstentums Litauen und der westlichen Ukraine. Tags zuvor hatte bereits der Regentschaftsrat, ohne sich mit den beiden Generalgouverneuren abzustimmen, einen «Aufruf an das polnische Volk» ergehen lassen, der das von Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker einklagte sowie die Bildung einer Allparteienregierung und die Wahl einer Verfassunggebenden Nationalversammlung ankündigte.
    Danach überstürzten sich die Ereignisse. Der Regentschaftsrat übernahm, um einem befürchteten Aufstandsversuch der POW zuvorzukommen, am 12. Oktober das Kommando über die bisher vom deutschen Generalgouverneur befehligte «Polnische Wehrmacht» und rief Freiwillige zu den Waffen. Am 26. Oktober wurde ein überwiegend von Nationaldemokraten gestelltes Kabinett berufen, in dem der immer noch internierte Piłsudski das Amt des Kriegsministers übernehmen sollte. Tags darauf etablierte sich in Krakau auf Grund des «Völkermanifests» von Kaiser Karl eine von Sozialisten, Nationaldemokraten und Bauernpartei getragene Polnische Liquidierungskommission, die faktisch als Regierung von Westgalizien auftrat. In Lemberg und Ostgalizien übernahm, gestützt auf ukrainische Schützenverbände, am 30. Oktober und 1. November ein ukrainischer Nationalrat die Macht. Kurz darauf mußte die neue Warschauer Regierung, nachdem sie vergeblich versucht hatte, den Regentschaftsrat abzusetzen, zurücktreten. In der Nacht vom 6. zum 7. November putschte die POW unter Edward Rydz-Śmigly, einem treuen Kampfgefährten Piłsudskis, in Lublin. Am folgenden Tag wurde eine Provisorische Volksregierung der Polnischen Republik unter dem galizischen Sozialistenführer Ignacy Daszyński gebildet, Rydz-Śmigly als Stellvertreter Piłsudskis zum Kommandeur aller polnischen Truppen ernannt und der Regentschaftsrat für abgesetzt erklärt.
    Zwei Tage später, am 9. November, wurde Józef Piłsudski auf Grund einer Weisung der letzten kaiserlichen Regierung, des Kabinettsdes Prinzen Max von Baden, aus der Festungshaft in Magdeburg entlassen. Am Morgen des 10. November traf er mit einem Sonderzug in Warschau ein. Am 11. November, der später zum Staatsgründungstag erklärt wurde, übertrug ihm der Regentschaftsrat den Oberbefehl, am 14. November, als letzte Amtshandlung vor dem eigenen Rücktritt, die politische Gewalt. Um einen Konflikt mit der Regierung in Lublin zu vermeiden, ernannte der «Vorläufige Staatschef» (ein Titel, den zuletzt Tadeusz Kościuszko beim Aufstand von 1794 geführt hatte) Daszyński zum Ministerpräsidenten, wechselte ihn aber schon wenige Tage später, am 17. November, im Sinne eines Signals an die protestierende Rechte, durch einen gemäßigteren Sozialisten, Jędrzej Moraczewski, aus, der eine Regierung aus Sozialisten und Angehörigen der Bauernpartei bildete. Ein gemeinsames Dekret von Staatschef und Regierung vom 22. November, das die beiderseitigen Kompetenzen abgrenzte, schloß den Prozeß der Staatsgründung formell ab.
    Wo die Grenzen des neuen Polen liegen würden, war im November 1918 noch völlig offen. Entscheidend war zunächst,
daß
es erstmals seit der dritten polnischen Teilung vom 3. Januar 1795, nach fast 124 Jahren also, wieder einen unabhängigen polnischen Staat gab. Alle drei Teilungsmächte, erst Rußland, dann Preußen-Deutschland und Österreich, waren Verlierer des Ersten

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