Geschichte des Westens
In Berlin, wo das Interesse am Baltikum stärker war als das an Polen, fand diese «austropolnische» Lösung zeitweilig Unterstützung. Die militärischen Erfolge der Deutschen und die Niederlage der Österreicher führten aber rasch zur Abkehr von diesem Modell. Am 5. November 1916 riefen, wie schon erwähnt, der deutsche Generalgouverneur in Warschau und der österreichische Generalgouverneur in Lublin das «Königreich Polen» als konstitutionelle Monarchie aus, die im wesentlichen aus Kongreßpolen bestehen und politisch, wirtschaftlich und militärisch ein Satellit der Mittelmächte sein sollte.
Unter den polnischen Politikern standen sich nach 1914 «Passivisten» wie Dmowski und «Aktivisten» wie Piłsudski gegenüber. Während die ersteren in Polen selbst erst dann tätig werden wollten, wenn sich eine Niederlage der Mittelmächte abzeichnete, wollten die letzteren im Interesse Polens in das Kriegsgeschehen eingreifen. Piłsudski, militärisch ein Autodidakt, überquerte am 6. August 1914 mit einer kleinen Freischar nordöstlich von Krakau die Grenze zu Kongreßpolen, ohne damit politisch oder militärisch etwas zu bewirken. Eine Woche später brachte ihn ein österreichisches Ultimatum dazu, sich dem neugebildeten Obersten Nationalkomitee in Krakau zu unterstellen.
Die von Piłsudski kommandierte «Westliche Legion» aus polnischen Freiwilligen konnte im Winter und Frühjahr 1915 einige eindrucksvolle militärische Erfolge verbuchen. Flankierend hatte Piłsudski durch befreundete Offiziere bereits im Herbst 1914 in Warschau eine Untergrundtruppe, die Polnische Militärorganisation (POW), ins Leben rufen lassen. Die von ihm aufgebaute Legion umfaßte im Herbst 1916 etwa 1000 Offiziere und 20.000 Mann. Ihre Umwandlung in ein Polnisches Hilfskorps der Mittelmächte lehnte er ab und trat, als diese trotzdem vollzogen wurde, als Kommandant zurück. Wenig später aber, im Januar 1917, entschied er sich, in den von dem deutschen Generalgouverneur von Beseler berufenen ProvisorischenStaatsrat einzutreten und dort das Referat für Heeresfragen zu übernehmen. Eine Unterordnung unter die deutsche Führung war damit nicht beabsichtigt: Piłsudski wollte die militärischen Kräfte Polens so stark machen, daß sie nach der erwarteten Niederlage des Zarenreiches an der Seite der Westmächte entscheidend an der Niederwerfung der Mittelmächte mitwirken konnten.
Die russische Februarrevolution wurde auch für Polen zu einer wichtigen Zäsur. Am 30. März 1917 ließ die Provisorische Regierung in Petrograd ein Manifest herausgehen, in dem sie sich für ein großes unabhängiges Polen aussprach, das alle von Polen bewohnten Gebiete umfassen und mit Rußland durch eine freie Militärunion verbunden sein sollte. Im Zuge der beabsichtigten Föderalisierung des Russischen Reiches beschloß die Provisorische Regierung Anfang Juni, die nichtrussischen Soldaten in den russischen Streitkräften zu nationalen Verbänden zusammenzuschließen. Das daraufhin geschaffene Oberste Polnische Heereskomitee fand sogleich die Unterstützung der Nationaldemokraten, die inzwischen von Dmowski auf eine enge Zusammenarbeit mit den Westmächten eingeschworen worden waren. Dmowski, der seit Anfang 1916 von London aus um die Unterstützung der Westalliierten für seine Vorstellungen von einem unabhängigen, auf Kosten Deutschlands erweiterten Großpolen warb, rief im August 1917 in Lausanne als Exilregierung das Polnische Nationalkomitee ins Leben und stellte sich an seine Spitze. Ganz in seinem Sinne wirkte der international berühmte Pianist Ignacy Jan Paderewski in den USA auf Präsident Wilson und seine engsten Berater ein.
Die PPS und die Untergrundorganisation POW, die zeitweilig mit dem Warschauer Staatsrat kooperiert hatten, gingen Anfang Mai 1917 in die Opposition und im Juni zum offenen Kampf gegen die Mittelmächte über. Piłsudski schloß um dieselbe Zeit seine engeren Anhänger mit der PPS und der bäuerlichen Volkspartei zur Demokratischen Liga zusammen. Am 24. Juli 1917 legte er sein Mandat im Provisorischen Staatsrat nieder und befahl den ihm gegenüber loyalen Freiwilligen des Polnischen Hilfskorps, den vorgesehenen Eid auf den deutschen Kaiser zu verweigern. Die meisten der 6500 Legionäre, etwa 4000, und 164 von 275 ihrer Offiziere befolgten diese Weisung und wurden daraufhin von der deutschen Besatzungsmacht interniert. Am 22. Juli ließ Generalgouverneur von Beseler Piłsudski verhaften. In die preußische
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