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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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allem aber der lutherischen Theologie. Im Shintoismus, der die japanische Kultur tief geprägt hat, gibt es eine solche Tradition nicht, und infolgedessen auch kein «schlechtes Gewissen» der Nation im Hinblick auf die aggressive Politik Tokios in den dreißiger und vierziger Jahren und das grausame Leid, das das japanische Militär und namentlich die Militärpolizei, die Kempeitai, der Zivilbevölkerung und besonders den mindestens 100.000 zur Prostitution gezwungenen Frauen und Mädchen in China, der Mandschurei, Korea und vielen der neu besetzten Gebiete zugefügt hatten. Ein Eingeständnis von Schuld wurde und wird in weiten Kreisen der Gesellschaft als unvereinbar mit der japanischen Vorstellung von «Ehre» betrachtet. Ein tiefverwurzeltes Gefühl von Scham läßt ein Schuldbekenntnis als Gesichtsverlust erscheinen – etwas, was es unbedingt zu vermeiden gilt.
    Die hingerichteten Kriegsverbrecher sind aus der Sicht der japanischen Rechten immer noch Patrioten und Märtyrer. Am Yasukuni-Schrein, einem 1869 von Kaiser Meiji errichteten shintoistischen Heiligtum, wird ihrer bis heute gedacht, und von 1975 bis 2009 nahmen an den nationalistischen Zeremonien am 15. August, dem offiziellen Gedenktag der Kapitulation, regelmäßig auch prominente Regierungsvertreterder Liberal-demokratischen Partei teil. Die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki bestärkten Japan in dem Gefühl, im Zweiten Weltkrieg mehr Opfer als Täter gewesen zu sein: eine Einschätzung, die die Beziehungen Japans zu seinen Nachbarn nach wie vor belastet und von den westlichen Demokratien der Nachkriegszeit trennt.
    Viereinhalb Jahre nach Italien, am 8. September 1951, erhielt Japan in San Francisco seinen Friedensvertrag, der freilich weder von dem inzwischen kommunistischen China noch von der Sowjetunion unterzeichnet wurde. Darin erklärte Japan seinen Verzicht auf alle nach 1895 erworbenen oder eroberten Gebiete. Die USA sicherten sich die zeitlich befristete Verwaltungshoheit über einige kleinere, aber strategisch wichtige Inseln und schlossen mit Japan einen Sicherheitsvertrag, der dem Kaiserreich die Bildung von «Selbstverteidigungskräften», also eine Wiederbewaffnung, erlaubte. Als Gegenleistung für das amerikanische Entgegenkommen schloß Japan, wenn auch widerstrebend, einen eigenen Friedensvertrag mit der Regierung der Kuomintang auf Taiwan, die damit von Tokio als die einzige legitime Regierung Chinas anerkannt wurde.
    Der exzessive Militarismus Japans gehörte inzwischen der Vergangenheit an. Manche derer, die für die Kriegspolitik mitverantwortlich waren, hatten aber seit dem Ende der Besatzungsherrschaft im Jahre 1951 durchaus wieder eine politische Zukunft: 1954 kehrte der zu einer Freiheitsstrafe verurteilte ehemalige Außenminister Shigemitsu Mamoru in sein altes Amt zurück. 1957 trat der entschieden antikommunistische Kishi Nobusuke, der dem Kriegskabinett von General Tojo angehört hatte, an die Spitze der Regierung. In Japan empfand man dies als ein Zeichen von Normalisierung – und in den USA schon längst nicht mehr als schockierend.
    Japan, Italien, Deutschland: Die Jahre 1943 bis 1945 stehen für das katastrophale Scheitern von drei Versuchen spätimperialistischer Reichsbildung. Die Regime in Tokio, Rom und Berlin wollten im 20. Jahrhundert nachholen, was älteren Großmächten in früheren Jahrhunderten gelungen war: die Ausweitung ihrer Herrschaftssphäre auf fremde, vorzugsweise weniger entwickelte Länder. Es war
nicht
der Imperialismus als solcher, der die aggressiven Regime der Zwischenkriegszeit hervorbrachte. Diese Systeme entstanden vielmehrnicht zufällig in Ländern, die sich bei der «Verteilung der Welt» zu kurz gekommen wähnten. Wenn es für die globale Katastrophe der ersten Hälfte der vierziger Jahre eine gemeinsame Ursache gibt, dann liegt sie hier: in dem zwanghaft kompensatorischen Streben dreier vermeintlich vom Schicksal benachteiligter Mächte, den weltpolitischen Status quo zu ihren Gunsten zu revolutionieren und sich so dauerhaft den Platz zu sichern, auf den sie einen Anspruch zu haben glaubten.[ 32 ]
Westen, Osten, Dritte Welt: Die Zäsur von 1945 (II)
    In Potsdam hatten sich im Juli und August 1945 noch die «Großen Drei» getroffen. Aber manche Briten mochten sich schon damals fragen, ob sie wirklich noch zu den «großen» Siegermächten gehörten. Am Zweiten Weltkrieg hatten auf der Seite des Vereinigten Königreiches fast 5 Millionen Soldaten aus dem Commonwealth

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