Geschichte des Westens
in größtmöglichem Umfang wahrte und Italien materiell so wenig wie möglich belastete. Friedensverhandlungen im engeren Sinne gab es nicht; die Italiener konnten lediglich ihre Position in Washington, Moskau, London und Paris vortragen. Das zentrale Argument lautete dabei, Italien sei von Mussolini einKrieg an der Seite Deutschlands aufgezwungen worden, es habe auf anständige Weise gekämpft, sich 1943 selbst von der Herrschaft des «Duce» befreit und schließlich an der Seite der Alliierten einen wichtigen Beitrag zum Sieg über Deutschland geleistet. Die römischen Abgesandten präsentierten Italien mithin, wie es Woller formuliert, als das «Hauptopfer des Faschismus» – eine Geschichtsdeutung, die zu eigenwillig war, um in irgendeiner der vier Hauptstädte auf Verständnis zu stoßen.
Was der Pariser Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 Italien zumutete, war durchaus erträglich. Die ehemalige Achsenmacht mußte die 1912 eroberten Inseln des Dodekanes an Griechenland und Istrien an Jugoslawien abtreten sowie auf alle Kolonien verzichten (was nicht ausschloß, daß die Vereinten Nationen Italien im November 1949 ein Mandat für die Treuhandverwaltung seiner früheren Kolonie Somalia zwecks Vorbereitung der Unabhängigkeit erteilten). Triest wurde zunächst ein Freistaat, konnte aber 1954 zu Italien zurückkehren. Südtirol blieb italienisch und erhielt im Januar 1948 ein erstes Autonomiestatut. Die Reparationslasten, die Italien auferlegt wurden, hielten sich in engen Grenzen: Jugoslawien wurden 125, Griechenland 105, der Sowjetunion 100, Äthiopien 25 und Albanien 5 Millionen Dollar zugesprochen. Die italienischen Streitkräfte mußten Beschränkungen ihrer Mannschaftsstärken und ihrer Ausrüstung hinnehmen; den größten Teil der Kriegsflotte sicherten sich Frankreich, Griechenland, Jugoslawien und die Sowjetunion.
Der Friedensvertrag war innenpolitisch heftig umstritten: Nicht nur die äußerste Rechte in Gestalt der Neofaschisten und der Monarchisten, sondern auch die Liberalen machten Front gegen das, was aus ihrer Sicht ein brutales Diktat war. In Wirklichkeit war Italien mit dem Pariser Vertrag sehr glimpflich davongekommen. Es hatte unter Mussolinis Führung in Äthiopien einen rassistischen Eroberungskrieg geführt und dabei Methoden der Massenvernichtung angewandt, zu denen es in der europäischen Kolonialgeschichte nur wenige Parallelen gab; es hatte an der Seite der Deutschen in Nordafrika, auf dem Balkan und in der Sowjetunion gekämpft und sein Territorium auf Kosten anderer europäischer Länder erweitert; es hatte seinen Beitrag zur Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden geleistet. 1947 wollten die meisten Italiener von alledem nichts mehr wissen. Für sie war es ein beruhigender Gedanke, daß alles, was man dem faschistischenItalien vorhalten konnte, weit in den Schatten gestellt wurde durch die sehr viel größere und schrecklichere Verbrechensbilanz seines ehemaligen Verbündeten, des nationalsozialistischen Deutschland.[ 31 ]
In Japan blieb, anders als in Italien, die Monarchie erhalten, aber sie änderte ihren Charakter: Am 1. Januar 1946 widerrief Kaiser Hirohito seine «Göttlichkeit». Zehn Monate später, am 3. November 1946, verkündete der Monarch eine neue Verfassung. Sie war das Werk einer von der amerikanischen Besatzungsmacht eingesetzten Kommission, das im Oktober vom neugewählten Parlament mit überwältigender Mehrheit gebilligt worden war und ein halbes Jahr später, am 3. Mai 1947, in Kraft trat. Der Kaiser war nun nicht mehr souveräner Herrscher, sondern nur noch «das Symbol des Staates und der Einheit der Nation». Der Adel wurde abgeschafft; Japan war fortan eine parlamentarische Demokratie mit einer unabhängigen rechtsprechenden Gewalt; Staat und Religion waren getrennte Sphären, der Shintoismus nicht mehr die privilegierte Religion. Die Verfassung gewährleistete die klassischen Grundrechte einschließlich der Religionsfreiheit; sie bekannte sich zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. In Artikel 9 verzichtete Japan auf den Unterhalt eines Militärs und auf das Recht der Kriegführung – eine einschneidende Neuerung, von der nicht ganz klar ist, ob sie auf eine japanische Initiative oder den Druck der Besatzungsmacht zurückging.
Im Unterschied zu Deutschland verfügte Japan nach der Kapitulation weiterhin über eine eigene Regierung. Der Oberkommandierende der alliierten Truppen und Mann an der Spitze der faktisch einzigen, der
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