Geschichte des Westens
amerikanischen Besatzungsmacht, General Douglas MacArthur, hatte zwar am 2. September 1945, wenige Stunden nach der Kapitulation, verfügt, daß alle Staatsgewalt fortan von der Besatzungsmacht ausgeübt werde, mußte sich aber kurz darauf, nach japanischen Protesten und auf Weisung des State Department, revidieren: Der Oberbefehlshaber erließ seine Anordnungen über die japanische Regierung, die insoweit zu einem Vollzugsorgan der Besatzungsmacht wurde.
Die Verfügungen MacArthurs zielten auf eine konsequente Verwestlichung des Kaiserreichs. Er ließ die repressiven Sicherheitsgesetze außer Kraft setzen, die politischen Gefangenen entlassen und Personen verhaften, die im Verdacht standen, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Er verfügte die Zulassung von freien Gewerkschaften, dieGewährung des Streikrechts, das Verbot der Kinderarbeit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Auflösung der großen Konzerne, der «Zaibatsu», eine Landreform und eine Liberalisierung des Bildungswesens. Ein großer Teil dessen, was die Verfassung von 1947 enthielt, bedeutete also nur die Festschreibung von Neuerungen, die die Besatzungsmacht angeordnet hatte.
Eines der zentralen Anliegen der USA, die Bestrafung von Kriegsverbrechern, wurde dadurch erschwert, daß die japanischen Behörden in der kurzen Zeit zwischen der Kapitulation und der amerikanischen Besetzung belastendes Material in großem Umfang vernichtet hatten. Erst im Mai 1946 konnte ein nach dem Nürnberger Vorbild geschaffener Internationaler Militärgerichtshof in Tokio seine Arbeit aufnehmen. Einige der Beschuldigten, so der ehemalige Premierminister Konoe und der frühere Heeresminister und Generalstabschef Sugiyama Gen, begingen Selbstmord und entzogen sich so ihrer Verhaftung. Der langjährige Kriegspremier, General Tojo Hideki, der ebenfalls zur Gruppe der Hauptkriegsverbrecher gehörte, überlebte schwer verletzt einen Versuch der Selbsttötung.
Tojo war einer von sieben Angeklagten, die der Internationale Militärgerichtshof im November 1948 zum Tod durch den Strang verurteilte. Sechs von ihnen waren Militärs; der einzige Zivilist war der frühere Premierminister und Außenminister Hirota Koki. In sechzehn Fällen verhängten die Richter lebenslängliche Haft-, in zwei Fällen mehrjährige Freiheitsstrafen. (Soweit die Betroffenen noch lebten, wurden sie bis 1956 alle freigelassen.) Wie in Deutschland folgten dem Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher weitere Verfahren gegen Personen, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden. Prozesse gegen japanische Kriegsverbrecher fanden auch auf den Philippinen, in China und der Sowjetunion statt.
Eine über die Prozesse gegen die Kriegsverbrecher hinausgehende, der «Entnazifizierung» in Deutschland vergleichbare politische Säuberung, wie die USA sie wünschten, scheiterte am Widerstand der japanischen Beamtenschaft. Von den strukturellen Veränderungen, die die Besatzungsmacht eingeleitet hatte, war die Bodenreform die wohl erfolgreichste. Etwa 5 Millionen Kleinbauern profitierten als Eigentümer oder Pächter davon, daß der Staat zwischen 1946 und 1949 Land von Großgrundbesitzern aufkaufte, um es anschließend zu verteilen. Fortan durfte niemand mehr als 3 Hektar Land besitzen oder als Pächterbewirtschaften. Nur auf der kargen Insel Hokkaido waren größere Höfe mit bis zu 20 Hektar Land erlaubt.
Nachhaltig wirkte sich auch die Umgestaltung des Bildungswesens aus. Die Schulpflicht wurde von 6 auf 9 Jahre verlängert, eine dreijährige Oberschule nach dem Vorbild des amerikanischen College eingeführt, der Lehrkörper «umerzogen» und der Lehrstoff entmilitarisiert. Weniger erfolgreich waren die Amerikaner bei ihrem Versuch, die großen Konzerne zu zerschlagen. Entsprechende Gesetze wurden zwar verabschiedet, neue Verflechtungen und Konzentrationsprozesse auf diese Weise aber nicht verhindert. Im Endeffekt erreichten die amerikanischen Reformer nach dem Urteil des Historikers Gerhard Krebs auf diesem Gebiet das Gegenteil dessen, was sie erstrebt hatten: Durch die Modernisierung seiner Industrie- und Finanzwelt wurde Japan für die USA zu einer stärkeren Konkurrenz, als es dies vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen war.
Eine Schulddebatte wie in Deutschland fand in Japan nach 1945 nicht statt. In Deutschland ging diese Diskussion nicht zufällig vom Protestantismus aus: Das Schuldigwerden des Menschen, eine Folge seiner Sündhaftigkeit, war und ist ein zentrales Problem aller christlichen, vor
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