Geschichte Hessens
als Ministerpräsident einer (seit 1970 erprobten und bis 1982 amtierenden) SPD-FDP-Koalition ab. Börners Politik war von dem Bemühen um Schaffung neuer Arbeitsplätze und um Sicherung der Energieversorgung im Land gekennzeichnet. Zur Erreichung dieses Zieles setzte die Koalition auf eine intensivere Nutzung der Kernenergie. Bald indes blies dem Landesvater der Wind aus unterschiedlichen Richtungen ins Gesicht. Neben der konservativen Opposition fühlten sich vor allem jene Bevölkerungsschichten durch die Regierungspolitik provoziert, die den Ausbau des umstrittenen Kernkraftwerks Biblis sowie die Erweiterung des Frankfurter Flughafens durch die projektierte «Startbahn 18 West» aus umweltpolitischen Gründen ablehnten. Es war dies die Geburtsstunde einer in Hessen besonders schlagkräftigen Umweltbewegung, als deren politischer Repräsentant die Partei der «Grünen» bei den Landtagswahlen von 1982 erstmals in das Wiesbadener Landesparlament einzog.
Das Programm der neuen Partei bestand zunächst aus einer Mischung wachstumskritischer und ökopazifistischer Bekundungen. Ihre politische Weltanschauung spiegelte das Lebensgefühleiner damals jungen, nach gesellschaftlichem Wandel strebenden, aufbruchsorientierten Generation. Zunächst war die Bereitschaft der «Grünen» gering, mit dem SPD-Minderheitenkabinett Holger Börners zusammenzuarbeiten, das nach dem Auseinanderbrechen der sozialliberalen Koalition geschäftsführend weiteramtierte. Nur zögernd und in steter Auseinandersetzung mit ihrem anfänglichen Selbstverständnis als Fundamentalopposition bildeten die «Grünen» mit der SPD in Hessen schließlich im Dezember 1985 die erste «rot-grüne» Koalition der Bundesrepublik auf Landesebene. Die Landespolitik erhielt dadurch eine neuartige Ausrichtung. Jetzt standen, neben der verstärkten Förderung sozialpolitischer Maßnahmen, besonders Themen und Probleme der «multikulturellen Gesellschaf» sowie alternative Verkehrs- und Energiekonzepte im Vordergrund. Joseph Martin Fischer, genannt «Joschka», für mehr als zwei Jahrzehnte die unumstrittene Leitfigur der Umweltpartei, offenbarte als frisch gebackener Hessischer Minister für Umwelt und Energie freilich schon kurz nach seinem Amtsantritt ein gehöriges Maß an Skepsis bezüglich einer längerfristigen Dauer der doch allzu heterogenen Koalitionsregierung: «Das Seil ist doch sehr dünn, auf dem ich tanze. Ob es überhaupt befestigt ist oder ob ich mich bereits samt Seil im freien Sturz befinde, läßt sich zur Stunde noch nicht ausmachen» (Heidenreich/Schacht 1996, S. 275).
CDU-Regierung und deutsche Vereinigung.
Fischers damalige Skepsis war berechtigt – bereits nach gut einem Jahr war die rot-grüne Regierungskoalition am Ende, weil den hessischen «Grünen» die Einstellung der SPD zur Frage der Nutzung von Kernenergie problematisch erschien. Bei den Landtagswahlen von 1987 mußten die Sozialdemokraten das schlechteste Wahlergebnis seit Gründung des Landes Hessen hinnehmen (40,2 %). Dies bot die Chance für einen politischen Wechsel, auf den die hessische CDU (42,1 %) seit Jahrzehnten gewartet hatte. Unter ihrem (seit 1983) neuen Spitzenkandidaten, dem (seit 1986) amtierenden Bundesumweltminister im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl und früheren Frankfurter OberbürgermeisterWalter Wallmann, stellte sie in einer Koalition mit der FDP (7,8 %) erstmals in der hessischen Nachkriegsgeschichte die Regierung – ohne Beteiligung der Sozialdemokraten.
Das Kabinett Wallmann profilierte sich hauptsächlich im Prozeß der deutschen Vereinigung 1989/90. Die Gelegenheit, das Land Hessen, dessen nördliche und östliche Regionen seit 1949 zur Rolle des «Zonenrandgebiets» verurteilt waren, erneut zu einer Kernregion Deutschlands zu machen, nutzte Wallmann Anfang Dezember 1989 mittels Auflegung eines
Aktionsprogramms Hessen-Thüringen.
Es stellte Finanzsummen in einer Höhe von 250 Millionen D-Mark bereit, um für fünf Jahre in Thüringen Projekte im Gesundheitswesen und im Umweltschutz sowie Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruktur und zur Denkmalpflege zu unterstützen. Auch der Aufbau kleinerer Unternehmen wurde in diesem Rahmen gefördert. Hessen war das erste Bundesland, das einer benachbarten DDR-Region in dieser Art und Größenordnung unmittelbare Hilfestellung bot. Im Prozeß der Länderneubildung im Osten hat Hessen den drei thüringischen Bezirken Erfurt, Suhl und Gera dann in vielfältiger Weise Rat und Unterstützung beim
Weitere Kostenlose Bücher