Geschichte Hessens
Aufbau eines zur Erlangung der Hochschulreife führenden «Zweiten Bildungswegs» (
Hessenkolleg
) sowie die flächendeckende Errichtung von «Mittelpunktschulen». Deren Aufgabe bestand darin, das in Hessen traditionell stark verbreitete Klein- und Zwergschulwesen zu überwinden und die Volks- und Realschulen ländlicher Gemeinden in kommunalen Zentren zusammenzufassen.
Die hessischen Hochschulen Marburg, Frankfurt am Main und Darmstadt waren bereits 1945/46, die Gießener Alma Mater 1957 wiedereröffnet worden. Sie alle erlebten zunächst eine Konsolidierungsphase, die weitgehend an die Universitätstraditionen der Weimarer Republik anknüpfte. Sichtbarster Ausdruck dieser Wiederanknüpfung war die Rückkehr des 1933 in die Emigration getriebenen
Instituts für Sozialforschung
an die Frankfurter Universität 1950. Nach der Wiedereröffnung 1951 wirkte das Institut unter der Leitung Max Horkheimers (1895–1973), stark gefördert vom Hessischen Kultusministerium, anfänglich im Sinne proamerikanischer antitotalitärer Konsensbildung. Später wurde Hessen dann auch im universitären Bereich zum Vorreiter einer allerdings nicht unumstrittenen Reformpolitik. Ab 1968/69 erfolgte die Installierung praxisbezogener Fachhochschulen mit berufsorientierten Studiengängen, deren Attraktivität dazu führen sollte, daß sie bald von jedem dritten Studienanfänger bevorzugt wurden. 1970 beschloß die damalige sozialliberale Landesregierung die Gründung der Gesamthochschule Kassel als neuartigen Universitätstyp mit Modellcharakter, welcher ausbildungsübergreifende Lehrangebotepräsentierte. Ein Ziel dieser Gründung war es, die unbefriedigende HochschulInfrastruktur in Nordhessen zu verbessern. Dieses Ziel wurde erreicht: In ganz Hessen betrug die Zahl der Studierenden 1970 noch 39.073, heute (Sommersemester 2006) liegt sie bei 162.260.
Krise der Reformpolitik.
Ab Mitte der 1970er Jahre wurden die Grenzen des in der Ära Zinn grundgelegten und lange Zeit überaus erfolgreichen sozialplanerischen und vorsorgeorientierten Politikverständnisses der hessischen Sozialdemokraten sichtbar. Zinns Nachfolger Albert Osswald (1919–1996) versuchte zunächst, sein Regierungshandeln weiterhin an diesem Politikverständnis auszurichten, das einer staatsbürokratischen Elite vorausschauende Steuerungskompetenz zusprach. Bald jedoch, und in wachsendem Ausmaß, regte sich Kritik an solchem Vorgehen, dessen Finanzierbarkeit zunehmend in Frage stand. Gleichwohl wurden auch durch Osswald richtungweisende Reformen auf den Weg gebracht – unter seiner Verantwortung entstanden beispielsweise die
Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
sowie die
Hessische Zentrale für Datenverarbeitung
als seinerzeit modernstes Rechenzentrum der Bundesrepublik, dessen Aktivitäten überdies mit dem Erlaß des weltweit ersten Datenschutzgesetzes (1970) verbunden wurden. Umstritten blieb die von der Regierung Osswald in Gang gebrachte Verwaltungs- und Gebietsreform mit ihrer radikalen Reduzierung hessischer Gemeinden und Landkreise. Die kommunalen Neugliederungsgesetze von 1972 führten zu einer Verringerung der ursprünglich (1969) über 2600 hessischen Gemeinden auf eine zuletzt (1977) verbleibende Zahl von 417. Von den (1972) 39 hessischen Landkreisen blieben infolge von Zusammenschlüssen und Eingliederungen nach Beendigung der Gebietsreform 1977 noch 20 Landkreise übrig. Dadurch sollten eine Entbürokratisierung und Rationalisierung der Verwaltung, eine Intensivierung ihrer Leistungsfähigkeit und eine finanzielle Stärkung einzelner Regionen, insbesondere in Mittelhessen, erreicht werden. Angesichts heftiger und anhaltender Bürgerproteste sah sich die sozialdemokratische Landesregierung indesgenötigt, manche hier über die Köpfe der Betroffenen hinweg gefällte Entscheidung wieder zurückzunehmen, etwa den 1977 verfügten Zusammenschluß von Wetzlar und Gießen zur Kunststadt «Lahn».
3. Politische und gesellschaftliche Umorientierungen
Studentenprotest und Bildungsreform.
Im Verlauf der 1970er Jahre war es zunächst die Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die den im Land bisher herrschenden gesellschaftlichen Konsens ins Wanken brachte. Die beiden hessischen Universitäten Marburg und Frankfurt am Main hatten sich bereits ab 1967 zu Mittelpunkten jener studentischen Protestbewegung entwickelt, die sich durch Störungen des Lehrbetriebs, Besetzungen von Instituten, Sitzstreiks und Psychoterror ihre fragwürdigen und bald bundesweit
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