Geschichte machen: Roman (German Edition)

Hugo Übermayer, London 1924), ein Meisterwerk der falschen Bescheidenheit bei gleichzeitiger schwülstiger Selbstbeweihräucherung, stellt die Behauptung auf, er habe Seite an Seite mit gewöhnlichen Deutschen kämpfen wollen. Es steht indes außer Frage, daß er als Offizier in einem angeseheneren Regiment, das einen Kadetten mit so beeindruckenden Qualifikationen jederzeit willkommen geheißen hätte, niemals eine solche Blitzkarriere vom Rang eines Gefreiten bis zum Stabsmajor hätte machen können, wobei ihm im Verlauf dieses kometenhaften Aufstiegs neben anderen Auszeichnungen das Eiserne Kreuz I. Klasse mit Eichenlaub verliehen wurde.
    Im Deutschland, das Gloder nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands vom November 1918 wiedersah, gärte es. Oberst Karl Mayr vom Bayrischen Reichswehrgruppenkommando IV machte ihn zum Vertrauensmann mit der Aufgabe, die wie Pilze aus dem Boden schießenden rechts- und linksradikalen Organisationen zu überwachen, die nach der gescheiterten Revolution vom April 1919 das politische Vakuum Münchens zu füllen versuchten. Diese Funktion führte Gloder im September des Jahres in eine Sitzung der Deutschen Arbeiterpartei, einer ultrarechten Splittergruppe unter Leitung ihres Gründers
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Anton Drexler , eines 36jährigen Werkzeugschlossers im Eisenbahnbau. Obwohl die DAP damals noch keine fünfzig Mitglieder zählte, erkannte Gloder in ihrer auf den ersten Blick widersprüchlichen Mischung aus antimarxistischem Sozialismus und antikapitalistischem Nationalismus genau die richtigen Zutaten, die eine Partei der nationalen Einheit brauchte. Sechs Monate später hatte Gloder alle offiziellen Kontakte zur Reichswehr gekappt, war aus Mayrs Propagandaeinheit ausgeschieden und der DAP beigetreten. Nach kurzer Zeit hatte er den Ersten Vorsitzenden, einen Agitator der Thule-Gesellschaft namens
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Karl Harrer , ausgebootet, Drexler kaltgestellt und sich selbst zum »Führer« der Partei ernannt.
    1921 stellte er der offiziellen Bezeichnung der DAP das Präfix »Nationalsozialistisch« voran. Obwohl er für den Sozialismus und die Gewerkschaften nur Verachtung übrig hatte, begriff Gloder, daß seine Partei den einfachen Arbeiter für sich gewinnen mußte, der sonst vom Marxismus und Bolschewismus verführt würde. Nach kürzester Zeit sprach man von den Mitgliedern der NSDAP nur noch als den »Nazis«. Diese machten das Hakenkreuz zu ihrem Markenzeichen – sehr zum Mißfallen anderer rechtskonservativer Gruppierungen, diedas Symbol schon im 19. Jahrhundert in ihren Schriften und auf ihren Spruchbändern verwendet hatten.
    In der Frühzeit der Partei entwickelte Gloder außergewöhnliches Talent in den Bereichen Organisation und Demagogie. Frühe Rivalen, die um seinen schnellen, beißenden Witz wußten, versuchten ihn als Komiker abzutun, aber er verstand es, die pejorativen Spitznamen »Gloder, der ulkige Vogel« oder »Rudi der Clown« als rhetorischen Bumerang gegen seine Feinde zu wenden. Es ist unbestritten, daß sein Charme ihm die meisten Freunde gewann, und in den frühen Zwanzigern war der stete Zufluß neuer Parteimitglieder aus allen Gesellschaftsschichten zu einem reißenden Strom angeschwollen. Von Natur aus gutaussehend, athletisch gebaut und mit dem Lächeln eines Filmstars ausgestattet, bewies Gloder legendäres Geschick, den Respekt und das Vertrauen seiner politischen Feinde zu erwerben. In industriellen und militärischen Kreisen glaubte man an ihn, der Mann auf der Straße bewunderte und beneidete ihn, und in ganz Deutschland (und darüber hinaus) lagen ihm die Frauen zu Füßen.
    Als Organisator untergliederte er die Partei in Abteilungen mit separaten Funktionsbereichen. Dazu zählten bereits Ressorts, die dem Wachstum der eben erst etablierten Partei und der späteren Ausdehnung des Großdeutschen Reiches dienen sollten.
    Propaganda war von größter Bedeutung, und
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Joseph Goebbels , ein rheinländischer Akademiker aus erzkatholischem Hause, der infolge eines durch Kinderlähmung verkrüppelten Beins kriegsuntauglich gewesen war, hätte zu keinem besseren Zeitpunkt zur Partei stoßen können. Aus Angst vor dem Vorwurf »bürgerlicher Intellektualität« und aus einem körperlichen Minderwertigkeitsgefühl heraus hatte Goebbels eine sentimentale Mythologie blonder nordischer Reinheit und spartanischer Männlichkeitstugenden ausgearbeitet. In seinen Augen war Rudolf Gloder der körperliche, geistige und intellektuelle Inbegriff dieser arischen Ideale, und vom