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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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hin, um meine Schnürsenkel zuzubinden. Sie waren schon den ganzen Tag offen, und – ich weiß nicht, ob Sie sich mit Segelschuhen auskennen – die sind ja so weich und schlapp, daß die Schnürsenkelenden einem ständig unter die Sohlen rutschen, und dann fühlt man sich auf Schritt und Tritt wie die Prinzessin auf der Erbse.
    Aber – aber! Die rechten Schnürsenkel schleiften nach und hatten sich gar nicht im Schuh verfangen. Ich mußte mir einen Kieselstein eingetreten haben, denn irgendwas pikste mich.
    Meine Fresse! Eine von Janes orangefarbenen kleinen Pillen. Germaines Rache. Ich sollte zurückgehen und …
    Ach, war doch Jacke wie Hose. Ich legte die kleine Tablette in meine Brieftasche. Vielleicht konnte ich sie nebenan in den Kaninchenbau schieben. Kicher.
    Mit zugebundenen Schuhen radelte ich die Madingley Road entlang und stellte im Kopf Listen auf. Lebensmittel, Wein,
echten Kaffee
, Papier für den Laserdrucker, zu Hause noch einmal das Meisterwerk ausdrucken, in die Stadt zurück, den frischen Ausdruck bei Fraser-Stuart abliefern und schließlich, ach ja, bei diesem Zuckermann vorbeischauen, dem alten Zuckermann …

Davonmachen
    Der Adler ist gelandet
     
    »Pressen Sie, gnä’ Frau! Pressen! Ihr viertes, sagen Sie?«
    Alois nickte und blickte angewidert hinab.
    »Hör zu, Klara … hör mir
zu!
«
    Klara konnte nicht zuhören.
    »Klara!« Alois beugte sich über sie und herrschte sie an.
    Aber sie war kilometerweit entfernt. Stieß von den Hügeln hinab, schwebte hoch droben über Seen und Dörfern, ließ sich auf Kirchturmspitzen nieder, umklammerte mit den Krallen die strahlend goldenen Zwiebeltürmchen, bevor sie sich wieder in die Lüfte schwang, höher und immer höher emporstieg.
    Der Arzt trat neben Alois. »Wenn sie schon drei Kinder zur Welt gebracht hat, dürfte sie keine solchen Schmerzen haben, geschweige denn nach einer so immensen Dosis Laudanum.«
    Die Bemerkung erreichte Klara durch den Opiumnebel. Schmerzen? Sie hatte keine Schmerzen, lachte sie bei sich. Sie empfand keine Schmerzen, sondern nur Rausch! Freude! Reine, freie, schwerelose Freude.
    Die nächste große Wehe wirbelte sie weit über die höchsten Bergesspitzen hinaus. Unter ihr erstreckte sich ganz Europa. Ohne Zollwachen, Schlagbäume und Grenzen: Alle Tiere konnten sich frei bewegen. Obwohl sie hoch über allem schwebte, konnte sie die Bewegung der kleinsten Feldmaus und jedes Schmetterlings klar erkennen, sie hörte das Scharren in der Erde, als zwanzig Kilometer unter ihr ein Kaninchen seinen Bau verließ, sie konnte einen einzelnen Tautropfen erkennen, der zitternd an einem winzigen Grashalm hing. Herrin von Zeit und Raum, Gebieterin der Welt.Sie stieß einen hohen, gellenden Freudenschrei aus, während sie von Ost nach West und von Nord nach Süd schwebte und unter ihren weiten Schwingen die Länder in grenzenlos reiner Freiheit vorbeizogen.
    »Mein Gott, Schenck, so viel Blut! So hat sie ja noch nie geblutet! Was stimmt denn da nicht?«
    »Es ist nichts, mein Herr. Ich kann Ihnen versichern, daß alles seine Ordnung hat. Das Köpfchen ist groß und hat das Hymen eingerissen, das ist alles.«
    Der Schnabel des Adlerkükens hackte mit unbezähmbarem Willen auf die Schale seines Eis ein. Sie wird leben! Ich kann ihre Stärke spüren. Ihren eisernen Willen. Meine Adlertochter, und ich werde sie dazu erziehen, mich zu befreien.
    »Klara! Herr im Himmel! Dieses Gebrüll! Sind Sie sicher, daß Sie ihr genug gegeben haben?«
    »Ich habe ihr bereits bei Einsetzen der Wehen eine sehr hohe Dosis verabreicht. Gäbe ich ihr mehr, so würde sie das Bewußtsein verlieren, mein Herr. Ah, da kommt es ja. Ja, da kommt es. Noch einmal pressen, gnä’ Frau.«
    Sie ist frei! Sie ist auf der Welt! Frei! Hört doch, wie mächtig sie schreit! Diese Kraft! Dieser Wille! Der Lebenswille und die Lebenslust. Sie wird stark werden, und ich werde sie mehr lieben, als je eine Tochter geliebt worden ist.
    »Ha, ha!« Alois lachte. Er lachte sonst
nie
, aber jetzt lachte er. Selbst
er
spürte es. Erfaßte die Größe des Augenblicks.
    Doktor Schencks Hand strich Klara ein paar schweißnasse Haarsträhnen aus der Stirn und hinterließ eine daumendicke Blutspur über ihren Augenbrauen.
    »Herzlichen Glückwunsch, gnä’ Frau. Ihr Kind. Gesund wie eine deutsche Eiche.«
    »Liebling! Klara! Mein Schatz!«
    »Sie schläft jetzt, mein Herr.«
    »Sie schläft?«
    »Es war wirklich eine sehr hohe Dosis. Sie hat geträumt. Wenn sie aufwacht, wird sie

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