Geschichte machen: Roman (German Edition)
Jude?«
»Äh nein. Nein, bin ich zufällig nicht.«
»Zufällig. Und da sind Sie sicher?«
»Ähm, ja. Ich meine, es ist mir einigermaßen egal, aber ich bin kein … ich bin nicht jüdischen Glaubens.«
»Wissen Sie, Forster hat in den Dreißigern einen Aufsatz über jüdische Identität geschrieben. Darin warf er die Frage auf, woher wir eigentlich wissen wollen, daß wir keine Juden sind. Kann irgend jemand von uns seine acht Urgroßeltern aufzählen und sicher sein, daß sie allesamt Arier waren? Denn wenn sich unter ihnen nur eine einzige Jüdin befindet, dann hängt unser ganzes Leben vollständig von dieser einen Jüdin ab, so wie wir von der Patrilinearität abhängen, der wir unseren Nachnamen und unsere Identität verdanken. Das finde ich faszinierend. Ich möchte bezweifeln, daß selbst der Prince of Wales seine acht Urgroßeltern aufzählen könnte. Was meinen Sie?«
»Also, ich kann es jedenfalls nicht«, sage ich. »Wenn ich’s mir recht überlege, kann ich wahrscheinlich nicht mal meine vier Großeltern aufzählen. Aber soweit ich weiß, habe ich keine jüdischen Vorfahren.«
»Und wenn, wäre es Ihnen auch egal.«
»Ja«, sage ich und unterdrücke einen Anflug von Aufsässigkeit. Die ganze Angelegenheit, dieses ganze Aushorchen hat etwas entschieden Gruseliges. Zuckermann sieht mich prüfend an, als müsse er eine Entscheidung fällen, aber ich weiß nicht, wie sie ausfallen wird.
Während der Arbeit an meiner Dissertation habe ich festgestellt, daß sich auf diesem Forschungsgebiet jede Menge schrullige Typen tummeln, die oft als selbstverständlich annehmen, man teile ihre Schrullen. Eine Londoner Arbeitsgruppe hatte irgendwie vom Thema meiner Doktorarbeit Wind bekommen und schickte mir daraufhin ihre sogenannten »Forschungsergebnisse«, nach deren Durchsicht Jane und ich sofort die Polizei alarmierten.
Zuckermann sieht meinen Gesichtsausdruck und lacht. »Wie ich sehe, mögen Sie es nicht, so herumgeschubst zu werden.«
»Zumindest verstehe ich einfach nicht, wozu …«
»Gut. Schluß mit dem Katz-und-Maus-Spiel. Ich werde Sie nicht länger auf die Folter spannen.« Er beugt sich in seinem Sessel vor. »Michael Duncan Young, Sie werden über ein Thema promoviert, das mich sehr interessiert. Brennend interessiert. Ergo zweierlei. Alpha, ich möchte Ihre Arbeit lesen. Beta, ich möchte wissen, warum Sie sie geschrieben haben. Das ist alles.« Er lehnt sich zurück und wartet auf meine Antwort.
Ich muß schlucken. Wir geraten hier in Teufels Küche, Watson. Sehen Sie sich vor. Seien Sie äußerst vorsichtig. »Als erstes darf ich Ihnen versichern«, sage ich langsam und versuche erfolglos, dem durchdringenden Blick seiner blauen Augen standzuhalten, »daß ich kein … verstehen Sie, also keiner von diesen ausgeflippten Typen bin, eine Art zweiter David Irving, falls Sie das befürchten sollten. Ich sammle weder Eiserne Kreuze noch Hakenkreuze, Luger-Pistolen oder SS-Uniformen, und ich behaupte auch nicht, im Holocaust wären nur zwanzigtausend Menschen ermordet worden oder irgend so einen Scheiß.«
Er nickt mit geschlossenen Augen, als lausche er einem Konzert, und bedeutet mir fortzufahren.
»Und Sie haben recht, ich bin zufällig am zwanzigsten April geboren worden. Ich glaube, seit ich erfahren habe, daß der zwanzigste April ein … ein inhaltsschweres Datum ist, war ich davon fasziniert oder habe mich schuldig gefühlt, könnte man auch sagen.« Ich trinke einen großen Schluck Kaffee, weil meine Kehle plötzlich ganz ausgetrocknet ist.
»Schuldig? Das ist interessant. Glauben Sie etwa an Astrologie?«
»Nein, nein. So habe ich das nicht gemeint. Ich weiß es nicht. Wie gesagt. Sie wissen schon.«
»Mm. Außerdem streifen die Biographien diesen Zeitraum nur, also eignet er sich hervorragend für eine Doktorarbeit,wo man sein Zelt schließlich in jungfräulichen Gefilden aufschlagen soll, nicht wahr?«
»Das kommt noch hinzu, stimmt.«
Er öffnet die Augen. »Wir haben das Wort nicht ausgesprochen, oder?«
»Wie bitte?«
»Den Namen. Wir haben den Namen vermieden. Als wäre er ein Fluch.«
»Ach, Sie meinen, äh, Hitler? Na ja …«
»Genau, ich meine ›äh, Hitler‹. Adolf Hitler. Hitler, Hitler, Hitler«, sagt er und wird immer lauter. »Haben Sie Angst davor? Vor
Hitler
? Oder halten Sie es für unanständig, wenn in meiner Wohnung der Name
Hitler
fällt, als würde man im Boudoir einer Dame von Krebs sprechen?«
»Nein, aber ich …«
»Bitte.«
Wir verstummen,
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