Geschichte machen: Roman (German Edition)
hatte doch geahnt, daß Ernst Dummheiten machen würde.
»Du Idiot!« schrie er. »Du beschissener Idiot. War es das wert?
Warum?
«
»Ist ja gut«, sagte Ignaz unter ihm. »Du kannst es nicht mehr ändern.«
Eine Bewegung im Vordergrund erregte Hans’ Aufmerksamkeit. Zentimeterweise kroch ein Mann aus Richtung der deutschen Gräben bäuchlings auf den Gefallenen zu.
»Mein Gott, das ist Rudi!« flüsterte Hans.
»Wo?« Ignaz schnappte sich das Glas. »Heilige Jungfrau Maria! Er ist wahnsinnig geworden. Die werden ihn umbringen. Was sollen wir denn bloß tun?«
»Tun? Gar nichts können wir tun, du Blödmann. Sobald wir auch nur einen Muckser machen, entdecken sie ihn. Zieh den verdammten Schädel ein, wir nehmen das Periskop.«
Zwanzig Minuten lang schickten sie stille Stoßgebete gen Himmel, während Rudi auf den Drahtverhau zu robbte.
»Paß auf, Rudi«, wisperte Hans. »Du schaffst das schon.«
Rudi schob sich an der großen Stacheldrahtrolle zwischen Ernst und ihm entlang, bis er einen mit kleinen Stoffetzen markierten Abschnitt erreichte. Nachdem er den Durchlaß hinter sich hatte, kroch er wieder auf die Leiche zu.
Als er sie erreicht hatte –
»Was zum Teufel soll
das
denn?« stöhnte Ignaz. »Ich meine, Herrgott, jetzt kommt doch der
leichte
Teil.«
»Rauch!« sagte Hans. »Jetzt, wo er da ist, können wir Rauch zwischen ihn und die feindlichen Stellungen legen. Schnell!«
Ignaz sprang die Leiter hinab, stürzte in den nächsten Unterstand und brüllte nach Rauchpistolen, während Hans weiter beobachtete.
Rudi lag genauso reglos da wie die Leiche neben ihm.
»Was macht er denn da? Er stellt sich tot!«
Hans bemerkte, daß sich hinter ihm im Graben etwas zusammenballte. Er ließ das Periskop fahren und sah sich um. Ignaz’ Kopflosigkeit hatte Dutzende von Männern aufgescheucht. Nein, keine Männer. Die meisten waren noch Knaben. Ein paar von ihnen hatten sich ebenfalls Periskope besorgt und mußten jetzt zu jeder Einzelheit des Geschehens ihren Senf dazugeben. Die anderen sahen Hans mit großen, verängstigten Augen an.
»Warum bewegt er sich nicht? Er rührt sich nicht vom Fleck. Hat er plötzlich kalte Füße bekommen?«
Einen Mann, der regungslos mitten im Niemandsland lag, sah man hier alle Tage. In der einen Sekunde rannte man noch und schlug Haken, in der nächsten lag man stocksteif da und stellte sich tot.
»Rudi doch nicht«, sagte Hans, so zuversichtlich er konnte. »Der sammelt bloß Kräfte für den Rückweg.« Er konzentrierte sich wieder auf das Periskop. Noch immer keine Bewegung. »Alle Männer mit Rauchpistolen in Position«, kommandierte er.
Wie die Cowboys stiegen sechs Männer mit angelegter Waffe die Leitern hoch.
Hans leckte einen Finger an und prüfte die Windrichtung, bevor er sich wieder hinter das Periskop klemmte. Ohne jede Vorwarnung stand Rudi plötzlich auf und wandte sich den feindlichen Linien zu. Er verschränkte seine Arme unter Ernsts Leiche, zerrte sie rücklings in Richtung der deutschen Stellungen und hüpfte mit gebeugten Knien wie ein Kosakentänzer.
»Los!« rief Hans. »Feuer frei! Feuert hoch und fünf Minuten nach links!«
Die Rauchpistolen klatschten verhaltenen Beifall. Hans beobachtete Rudi, hinter dem die Rauchgranaten detonierten. Ein dichter Rauchvorhang stieg auf und breitete sich im Wind zwischen ihm und den französischen Gräben aus. Rudi drehte sich kurz um und salutierte den eigenen Linien. Ob ermit dem Rauch gerechnet hat? fragte sich Hans. Hat er sich einfach darauf verlassen, daß wir richtig reagieren? Nein, er hätte es in jedem Fall riskiert. Rudi fühlte sich für Ernsts Tod verantwortlich und war bereit, sein Leben in die Waagschale zu werfen. Welch eine überwältigende Idiotie.
»Was zum Teufel ist denn hier los?« Major Eckert kam mit zitternden Schnurrbartenden in den Graben marschiert. »Wer hat den Befehl gegeben, Rauchgranaten abzufeuern?«
Ein junger Franke salutierte forsch. »Hauptmann Gloder, Herr Major.«
»Hauptmann Gloder? Warum sollte der einen solchen Befehl erteilen?«
»Nein, Herr Major. Er hat nicht den Befehl erteilt. Er ist da draußen, Herr Major. Im Niemandsland. Er birgt die Leiche des Stabsgefreiten Schmitt.«
»Schmitt? Stabsgefreiter Schmitt ist tot? Wie? Was?«
»Er hat letzte Nacht versucht, den Helm von Oberst Baligand zurückzuholen.«
»Den Helm von Oberst Baligand? Mann, sind Sie betrunken?«
»Nein, Herr Major. Die Franzosen müssen ihn am Donnerstag beim Angriff auf unsere
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