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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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bohrte seine Fingernägel tief in die Handflächen, um nicht laut aufzulachen.
    Ernst war von einem Hustenanfall übermannt worden, aber trotzdem blieb er … ernst.
    »Versprechen Sie es, Herr Hauptmann. Sie müssen es mir versprechen!« sagte er und maunzte dabei wie ein Seehund.
    »Ich verspreche nichts, was ich vielleicht nicht halten kann!« sagte Rudi. »Aber hab keine Angst. Morgen früh werde ich wieder gesund und munter bei euch sein. Das schwöre ich dir, o du mein Getreuer. Und du darfst dich nicht so aufregen! Du hättest länger im Lazarett bleiben sollen, weißt du. Deine Lungen haben sich noch nicht wieder erholt.«
    »Ich bin genauso gesund wie alle anderen hier«, protestierte Ernst.
    »Ich glaube, ich sollte dich noch einmal krank schreiben lassen.«
    »Nein, Herr Hauptmann! Bitte tun Sie das nicht!«
    »Na gut, dann eben zu leichterem Dienst abkommandieren …«
    »Ich bin bloß erkältet, das ist alles! Ich bin kampfbereit.«
    »Gewiß, alter Freund«, beruhigte ihn Rudi. »Natürlich bist du das. Zu allem bereit.«
    Noch nie war Hans der himmelweite Unterschied zwischen den beiden Männern so kraß vorgekommen. Der strahlende Rudi, der vor Gesundheit strotzte, und der einen Kopf kleinere, hustende und rasselnde Ernst mit seinen derben Gesichtszügen.
    Rudi wandte sich an Hans. »Paß auf ihn auf, ja? Sorg dafür, daß er sich nicht in Gefahr begibt.« Er spazierte davon und sang Wagner. Ernst starrte ihm kläglich nach und keuchte wie ein altersschwacher Hund.
    Der helle Klang von Rudis angeborenem Heldentenor kletterte die klaren Intervalle des
Siegfried- Motivs
hoch wie ein Hirsch im Gebirge und erfüllte Hans’ Ohr und Herz mit der Musik von Schwertern und Speeren und Streitrossen, die den vulgären Kanonendonner in der Ferne mühelos übertrumpfte.
    Diesen Augenblick werde ich mein Lebtag nicht vergessen, dachte er. Dann schlug er sich unwillig aufs Bein. Hans Mend, du wirst langsam sentimental, du hängst zu sehr an dem Menschen. Genau wie der olle Ernst. Wer weiß, vielleicht ist Rudi in fünf Minuten tot. Klammer dich nicht an einen Strohhalm.
    Ach komm, sagte er sich, etwas Gefühl, ein bißchen echtes deutsches Gefühl wird schon nicht schaden. Aber Rudi hätte Ernst nicht so veräppeln dürfen. Wie ich Ernst kenne, läßt er sich glatt zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen …
    Hans schüttelte den Kopf und dachte nicht mehr daran.
     
    Am nächsten Morgen schüttete er gerade den übelriechenden Bodensatz seines ersten Bechers Ersatzkaffee weg, als Ignaz Westenkirchner hereinkam und mißmutig den Kopf schüttelte.
    »Schlimm, Mend, wirklich schlimm.«
    »Was denn?«
    »Sag bloß, du hast noch nichts davon gehört?«
    Hans verkniff sich ein ungeduldiges Schnauben. Er haßte es, wenn die Leute mit Neuigkeiten nicht sofort herausrückten. Informationen waren an der Front kostbarer als Schokolade. Die meisten Männer gaben sie nur Stück für Stück preis, aber Westenkirchner war der schlimmste. Wie ein boshaftes kleines Revuegirl streckte er seinen Klatsch und Tratsch, als handle es sich um seine Rougeration.
    Hans starrte auf seine Knie. »Nein, ich habe nichts gehört«, sagte er. »Und ich bin auch nicht besonders wild darauf. Wahrscheinlich erfahre ich es sowieso früher, als mir lieb ist.«
    Westenkirchner legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, Hans. Ich war einfach sicher, man hätte es dir …«
    Hans stand auf, plötzlich drehte sich ihm vor Furcht der Magen um. »Was ist passiert?«
    Ignaz drückte ihm kommentarlos einen Feldstecher in die Hand und zeigte aufs Niemandsland. »Schau’s dir an, alter Knabe«, sagte er.
    Hans stieg die nächste Grabenleiter hoch und schob den Kopf vorsichtig über die Brustwehr des Walls. Wenn Ignaz mich auf die Schippe nimmt, sagte er sich, dann reiße ich ihm die Eier ab und stopfe sie ins nächste MG.
    »Auf neun Uhr! Rechts von dem Granattrichter. Siehst du?«
    »Wo?«
    »
Na da!
Bist du denn blind?«
    Plötzlich sah Hans, was er meinte.
    Ernst lag auf dem Bauch, sein Rücken klaffte auf und glänzte brombeerrot, seine vorgestreckte Faust umklammerte noch den Riemen von Oberst Maximilian Baligands Galapickelhaube. Knapp außerhalb seiner Reichweite, als hätte er ihn noch in seinen letzten Zügen in Richtung der eigenen Stellungen geworfen, lag der Säbel eines französischen Offiziers in einer silbernen Scheide.
    Hans bebte vor Zorn und Grauen, aber er konnte die Augen nicht abwenden. Als wenn er’s nicht gewußt hätte. Er

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