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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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ersten, die das Neuste erfahren. Wir kleinen Grabenratten dürfen sie verdauen, nachdem sie an der ganzen Front durchgekaut und ausgespuckt worden sind.«
    »Es geht um folgendes, Herr Hauptmann. Einer der Wachposten hat heute morgen gesehen, wie Oberst Baligands beste Pickelhaube triumphierend auf einem Gewehrlauf herumgeschwenkt wurde. Sie müssen sie beim Angriff am Donnerstag erbeutet haben.«
    »Diese beschissenen Froschfresser«, sagte Rudi. »Blasierte Schweine!«
    »Glauben Sie, es gibt eine Möglichkeit, sie zurückzuholen, Herr Hauptmann? Wegen der Moral?«
    »Wir müssen eine finden! Alles andere wäre eine Schande für das Regiment. Wir müssen sie zurückerobern und noch eine eigene Trophäe mitbringen. Wir müssen diesen naiven Pißgesichtern vom Sechsten endlich einmal zeigen, wie echte Männer kämpfen.«
    »Jawohl, Herr Hauptmann. Aber Major Eckert würde einen direkten Vorstoß zu diesem Zweck niemals genehmigen.«
    Rudi rieb sich das Kinn. »Da könntest du recht haben. Alles in allem ist Major Eckert eben doch ein Franke. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Wo war dieser anmaßende Monsieur?«
    »Im Norden der neuen französischen Batterie«, sagte Hans und zeigte hinüber. »Abschnitt K.«
    »Abschnitt K? Das waren doch mal unsere Gräben, oder? Vor vier Jahren haben wir die Scheißdinger doch selber ausgehoben. Ich hätte nicht übel Lust … Schmitt, was fällt Ihnen denn ein?«
    Ungläubig sah Hans zu, wie Ernst Rudi am Arm zerrte.
    »Herr Hauptmann, ich weiß, was Sie vorhaben, und das kommt überhaupt nicht in Frage!« sagte Ernst.
    »Was unterstehst du dich!«
    »Das dürfen Sie nicht, Herr Hauptmann. Das dürfen Sie einfach nicht tun!«
    In aller Ruhe entfernte Rudi Ernsts Hand von seinem Arm. Hans hatte den Eindruck, als kräuselte eine Mischungaus Ärger und Belustigung seine sonst so glatte Stirn. »Ernst«, sagte Rudi, »wie gut dein Name doch zu dir paßt!«
    »Mag sein, Herr Hauptmann«, sagte Ernst hartnäckig. »Und ich darf Ihnen versichern … ich meine es bitter ernst.«
    Rudi lächelte und sagte in leisem Singsang: »Ernst, Ernst, mein Ernst! Immer so ernsthaft ernst!«
    »Um Vergebung, Herr Hauptmann, aber ich ahne, was Sie vorhaben. Und es hat keinen Sinn, es hat überhaupt keinen Sinn.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es, ich weiß es einfach. Ich kenne Ihren Mut, Herr Hauptmann. Aber es ist zu gefährlich. Wir können es uns jederzeit leisten, den Helm eines Obersten zu verlieren, zwanzig Helme … selbst zwanzig Obersten, aber …« Ernst lief puterrot an, und Hans sah, wie ihm Tränen in die Augen schossen, »… aber Sie können wir niemals entbehren.«
    Hans konnte sich nicht erinnern, jemals so nackte, unverhüllte Heldenverehrung gesehen zu haben. Oder um nicht um den heißen Brei herumzureden, solche Liebe. Kameradschaft war das Kaminfeuer der Schützengräben; ohne die Wärme der Kameradschaft hätten die Männer den Seelenwinter des Krieges nicht überstanden. Das war das qualvoll Paradoxe am Leben hier in Flandern: Ohne Kameradschaft ging man vor die Hunde, aber fortwährend gingen Kameraden drauf. Kaum hatte das eigene Leben eine Krücke gefunden, wurde sie einem schon wieder weggeschossen, und man war schwächer als je zuvor. Daher blieb die Zuneigung unausgesprochen, und der Tod von Freunden wurde mit schwarzem Humor quittiert. Hans war baß erstaunt, daß Ernst, ausgerechnet Ernst Schmitt – mit einem anderen Bild – sich die Maske vom Gesicht zu reißen und der unverminderten Wirkung des Gases auszusetzen wagte.
    Herrgott, sie alle liebten Rudi. Sein Tod wäre der einzige, den sie nicht schulterzuckend wegstecken konnten.
    Rudi hingegen konnte alles wegstecken. Er hatte den Armum Ernst gelegt und lächelte voller Zuneigung auf ihn hinab.
    »Mein guter alter Freund«, sagte er, »möchtest du vielleicht, daß ich drei Kilometer hinter der Front bei den Generälen hocke? Im Sessel sitze und mein Pfeifchen schmauche? Ich bin ein Krieger. Du solltest doch inzwischen gelernt haben, daß mir nichts widerfahren kann. Ich habe im Blute des Drachen gebadet.« Hans fand, daß diese Ausdrucksweise bei Rudi weniger lächerlich als bei anderen klang. Wenn ich so daherreden würde, käme sofort ein Stück Seife angeflogen, und man würde mich bis ans Ende meiner Tage damit aufziehen. Aber Rudi, der gehört in strahlender Silberrüstung ins Buntglasfenster, flankiert von heiligen Rittern und glänzenden Helden. Mein Gott, wie sich das anhört! Hans

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