Geschichten aus dem Ringwelt-Universum
habe ich keine Angst?
Es gleitet um mich herum, tastend, drängend. Es sieht aus wie eine riesige Amöbe, formlos und durchsichtig. In dieser durchsichtigen Masse sind dunklere Organe eingebettet. Ich vermute, das Ding ist genauso schwer wie ich.
Leben auf Pluto? Aber wieso? Superflüssigkeiten? Helium II, das von kompletten Molekülen verseucht wurde? In diesem Fall sollte sich das Biest schleunigst in Sicherheit bringen. Bei Sonnenaufgang braucht es dringend Schatten. Die Temperatur auf der Sonnenseite des Pluto ist immerhin 50 Grad absoluter Temperatur.
Nein, komm zurück! Es entfernt sich, fließt hinunter zu einem Krater. Haben meine Gedanken es fortgejagt? Unsinn. Wahrscheinlich war ich nicht nach seinem Geschmack. Das Biest muß sich verdammt langsam bewegen, denn ich kann seinen Bewegungsablauf genau verfolgen. Es bewegt sich den Hang hinunter auf unser Landefahrzeug zu und die winzige Statue – auf den ersten Menschen, der auf Pluto starb.
Nach dem Fiasko mit dem Nerva-K-Motor mußte einer von uns nach unten gehen, um nachzusehen, wie groß der Schaden war. Das bedeutete, daß einer von uns mit der Flamme des Tornister-Jets sich einen Tunnel durch das Eis graben und dann unter den Landewulst des Landefahrzeugs kriechen mußte. Wir sprachen nicht von den Gefahrenmomenten. Wir waren so gut wie tot. Derjenige, der hinunter in die Höhle mit den Gasblasen steigen sollte, war bestimmt so gut wie tot. Aber was soll’s? Tot ist tot.
Ich habe kein schlechtes Gewissen. Ich wäre hinuntergestiegen, wenn das Los mich getroffen hätte.
Der Nerva-K-Motor hatte seine Eingeweide in die Höhlung ausgespuckt. Wir waren hier für immer gestrandet. Das heißt, ich war hier gestrandet, und Jerome war tot. Die Höhle mit den Gasblasen war eine radioaktive Hölle.
Jerome hatte leise vor sich hingeflucht, als er in die Höhle einstieg. Schweigend kam er wieder heraus. Er hatte wohl seinen besten Wortschatz auf weniger kritische Situationen verschwendet.
Ich weinte. Daran erinnere ich mich. Ich weinte aus Kummer und aus Angst. Trotzdem sprach ich so ruhig wie immer. Jerome ahnte die Wahrheit nicht. Was er sich dabei dachte, ist seine Privatangelegenheit. Er schilderte mir die Lage, nahm Abschied von mir, ging hinaus in das Eis und nahm den Helm ab. Ein weißer Nebelball hüllte seinen Kopf ein, explodierte und rieselte in winzigen Schneeflocken auf den Boden.
Doch das alles scheint schon in weiter Vergangenheit zurückzuliegen. Jerome steht dort unten, den Helm in der geballten Faust – seine eigene Statue als erster Mensch auf dem Pluto. Ein Reif rekondensierter Flüssigkeit liegt auf seinem Gesicht.
Sonnenaufgang. Ich hoffe, daß die Amöbe…
Die Sonne verharrte einen Augenblick zwischen den Gipfeln, eine weiße, punktgroße Lichtquelle. Dann schoß sie nach oben – und der sich drehende Himmel kam jäh zum Stillstand.
Kein Wunder, daß ich das nicht früher beobachten konnte. Es geschah alles viel zu schnell.
Sammy saß dort oben im Schiff, das zur Erde zurückkehren sollte. Doch er konnte nicht zu mir herunter, und ich konnte nicht zu ihm hinauf. Mein Rucksacksystem funktionierte einwandfrei; aber früher oder später würde ich hier unten erfrieren, oder die Atemluft würde mir ausgehen.
Ich blieb ungefähr dreißig Stunden beim Landefahrzeug, holte Eis- und Bodenproben zusammen, analysierte sie, schickte die Daten mit meinem Laserstrahl zu Sammy hinauf. Ich übermittelte ihm auch meine berühmten letzten Worte und bedauerte mich selbst. Mehrmals mußte ich Jeromes Denkmal passieren. Als Leiche, die nicht von einem Präparator nach dem Tode kosmetisch behandelt worden war, sah er verdammt gut aus. Seine reifbedeckte Haut kann man kaum von Marmor unterscheiden, und seine Augen sind nach oben gerichtet und blicken sehnsüchtig nach den Sternen. Jedesmal, wenn ich an ihm vorbeikam, überlegte ich, wie ich ausschauen würde, wenn meine Zeit kam.
»Du mußt nach einer Schicht gefrorenem Sauerstoff suchen«, wiederholte Sammy beharrlich.
»Weshalb?«
»Sie erhält dich am Leben! Früher oder später werden sie ein Rettungsschiff hierherschicken! Du darfst jetzt nicht aufgeben!«
Ich hatte bereits aufgegeben. Selbstverständlich war hier auch Sauerstoff vorhanden, aber nicht in so nennenswerten Schichten, wie Sammy das erhoffte. Es gab hier nur Sauerstoffadern, vermischt mit anderen Stoffen. Sie glichen Goldadern im Gestein auf der Erde. Sie waren zu klein und zu fein verteilt.
»Dann halte dich an das
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