Geschichten aus der Müllerstraße
gibt, einen Termin zu vereinbaren. Stimmt das?«, frage ich die Frau mir gegenüber.
»Davon weiß ich nichts«, antwortet sie bestimmt und wechselt das Thema: »Die Bearbeitung wird etwa zwei bis drei Wochen in Anspruch nehmen. Dann erhalten Sie Post von uns.«
Ich verlasse den Schreibtisch und überlege auf dem Weg nach draußen, warum es in den Zeiten von Internet, Datenbanken und E-Gouvernement bis zu drei Wochen dauert, bis irgendein Bürokrat in irgendeinem Verzeichnis nachgeschaut hat, ob ich was ausgefressen habe. Vielleicht, so mutmaße ich in einem Anflug von Wahnsinn, habe ich gerade wieder eine Wartemarke gezogen.
Heiko Werning
Internationaler Führerschein
»Also, es ist alles ganz einfach«, versicherte der Mann vom Reisebüro, »Sie gehen im Flughafen von Santiago einfach zum Schalter der Mietwagenfirma, legen diesen Gutschein, Ihren Pass, den Führerschein und den Internationalen Führerschein vor, und dann können Sie direkt den Wagen in Empfang nehmen.«
Das klingt gut, dachte ich. Also, Gutschein nicht vergessen, Pass und Führerschein habe ich ja eh in der Tasche, und den – was? Erstaunt sah ich ihn an: »Den Internationalen Führerschein?«
»Ja, steht hier. Den brauchen Sie zur Übergabe.«
»Wieso das denn? Was will denn die Mietwagenfirma damit?«
»Keine Ahnung. Steht hier halt.«
Der Internationale Führerschein. Das nutzloseste Papier der Welt, gleich nach dem Stimmzettel für die Bundespräsidentenwahl, der Biografie von Karsten Maschmeyer und der SZ-Ausgabe mit diesem Grass-Gedicht. So, das muss ja auch mal gesagt werden. Kein Mensch braucht einen Internationalen Führerschein. Ich reise seit rund zwanzig Jahren durch alle Welt, immer hatte ich den Internationalen Führerschein dabei, und noch nie, nicht ein einziges Mal hat jemand das Ding sehen wollen. Ganz zu Beginn meiner touristischen Karriere habe ich es ein paarmal vorgezeigt und damit jedes Mal Achselzucken oder Kopfschütteln provoziert, einmal auch helle Aufregung, weil der Polizist im ecuadorianischen Amazonastiefland bereits die Führerscheine von Hunderten deutscher Touristen gesehen hatte und also wusste, wie so was in richtig aussieht. Aber das, was ich ihm da vorhielt, das hatte er noch nie gesehen, da musste ich erst mal mit zur Wache kommen, und nur ein Machtwort des Stationsvorstehers dort ermöglichte, dass wir weiterfahren durften, trotz des dubiosen, offensichtlich ja in betrügerischer Absicht vorgezeigten Papiers. Seither habe ich den Wisch immer schön stecken lassen, hatte ihn allerdings aus Sicherheitsgründen doch immer dabei, weil es offiziell in manchen Ländern Pflicht ist. Vermutlich irgendein historischer Anachronismus. Falls es überhaupt je für irgendwas gut war. Zum Autofahren jedenfalls nicht, denn mit dem Teil allein darf man ohnehin nichts machen, es gilt nur in Verbindung mit dem richtigen Führerschein. Nein, ich muss meiner Einschätzung widersprechen. Das Ding ist sogar noch nutzloser als die SZ mit diesem Gedicht, denn in die kann man wenigstens beim Fischhändler den Fisch einwickeln. Fischhandel, das ist ja überhaupt auch so eine verjudete Branche. Warum sagt Grass da eigentlich nichts zu? Wie dem auch sei: Mit dem Internationalen Führerschein kann man schlicht überhaupt nichts machen.
Der Mann vom Reisebüro beharrte aber darauf, dass er nicht garantieren könne, ob mir der Wagen ohne den Wisch ausgehändigt würde. Ich seufzte.
Ich hatte keine Ahnung, wo mein Internationaler Führerschein sein könnte. Ich dachte nach. Ach verdammt, letztlich ist es ja ganz egal, wo, das Ding ist doch sowieso längst abgelaufen. Und am übernächsten Tag wollten wir starten. Sechsunddreißig wertvolle Stunden, und eine unkalkulierbare Anzahl davon sollte ich nun für eine Behörde opfern. Eine schnelle Internetabfrage zu Hause bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen: zuständig ist das Bürgeramt Wedding. Das Bürgeramt Wedding! Mit Grausen erinnerte ich mich an meinen letzten Besuch dort. An stundenlanges Warten in einem Saal, der eher an ein Flüchtlingscamp erinnerte. An ein wahnwitziges Anmeldesystem, bei dem man erst ewig in einer Schlange anstehen muss, um sein Anliegen vorzubringen, um dann die Erlaubnis zu bekommen, eine Wartemarke ziehen zu dürfen. An einen absurden Kassenautomaten, den sie irgendwo im Keller in einem ganz anderen Gebäude versteckt haben. An eine Bürgeramtsmitarbeiterin, die mich in einer Tour ausgeschimpft hat, weil ich
gottweißwas
falsch ausgefüllt
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