Geschichten aus der Murkelei
hast du mich denn aus dem schönen Sternenhimmel fortgewünscht, Schwester? Wir Sterne spielten
so schön miteinander, und ich lief grade mit einem andern Sternlein um die Wette durch den ganzen Himmel, daß die Funken stoben
– da hast du mich fortgewünscht auf die kalte, dunkle Erde!«
Antwortete die Christa: »Aber ich wollte doch so gerne ein Brüderchen haben!«
Klagte der kleine Stern: »Aber ich bin nicht gerne hier in eurer engen Welt. Schon jetzt sehne ich mich nach dem weiten, funkelnden
Himmel. Es ist dunkel hier bei euch; sieh einmal, jetzt soll ich auch dunkel werden, mein Licht wird schon immer schwächer.«
Und wirklich, als Christa genauer hinsah, war der Schein um das Sternenkind schon matter, und auch der Leib des Kindes leuchtete
nicht mehr so wie vorher.
Da tröstete Christa das Kind und sprach: »Du brauchst ja auch nicht mehr zu leuchten, Brüderchen. Jetzt wirst du in unserer
Mutter Herz wohnen und von ihrem Blute warm werden. Nachher aber haben wir die schöne, warme Sonne und den Lichtschein des
Feuers im Herd und den guten, bleichen Mond und die Sterne und viele, viele Lampen. Wir |75| haben immer Licht, wenn wir es wollen, daran soll es dir nicht fehlen, Brüderchen, und zu Weihnachten haben wir noch den Tannenbaum.«
Das Brüderchen dachte eine Weile nach über das, was Christa gesagt hatte. Aber es war noch immer nicht zufrieden, sondern
es klagte weiter: »Ja, wenn es nun auch mit dem Licht besser bei euch Menschen bestellt ist, als ich dachte, Schwester – wie
ist es denn aber mit dem Spielen? Wo sind denn hier auf der Erde die tausend fröhlichen Funkelbolde, die mit mir im Himmel
waren und mit denen ich um die Wette zwinkern und glimmen konnte? Wo ist denn in euern engen Stuben Raum, wie ich ihn hatte,
durch den ganzen Himmel zu sausen, immer und immer weiter, um die Wette und allein, ganz wie ich es wollte?«
Da wurde die träumende Christa in ihrem Bette ganz eifrig, und sie rief: »Ach, Brüderchen, du hast ja gar keine Ahnung, wie
schön wir Kinder hier auf Erden spielen können! Wohl hast du dort oben den ganzen blanken Himmel gehabt, aber er ist doch
leer bis auf euch Sterne. Wir Kinder aber haben eine Erde, ganz voll von Dingen, mit denen wir spielen können. Aus jedem Strohhalm
können wir Seifenblasen wehen lassen oder Windrädchen daraus machen oder aber Ketten; hinter jedem Baum und Busch können wir
uns verstecken, von jeder Stufe springen, mit Wasser und Sand backen und bauen, und so noch viele tausend Dinge. Wenn du aber
sausen willst, schneller noch als ihr Sterne durch den Himmel, so warte nur auf den Winter, Brüderchen! Hinter dem Dorf ist
ein Berg, und wenn du den mit deinem Schlitten hinuntersaust, so bist du schneller als der Wind und meinst, du flögest durch
alle Himmel!«
Als dies das Brüderchen gehört hatte, war es schon halb versöhnt und sagte: »Nun, Schwester, das klingt ja alles ganz gut,
und beinahe möchte ich dir verzeihen, daß du mich vom Himmel auf die Erde herabgewünscht hast. Aber ganz zufrieden bin ich
doch noch nicht. Sieh einmal, wie |76| matt mein Licht geworden ist, seit wir hier miteinander reden, Schwester. Gleich wird es ganz ausgegangen sein. Und unser
Schönstes war doch im Himmel, dieses Licht immer recht rein und glänzend zu erhalten. Immerfort rieben und putzten wir an
uns herum – und nun soll ich hier als ein ganz lichtloses, graues Wesen herumlaufen und mir all meinen Schein von andern borgen?
Nein, Schwester, das kann mich nie freuen, und so war es doch nicht recht von dir, und ich will gar nicht gerne bei euch bleiben!«
Da saß Christa ganz erstaunt in ihrem Bett und rief: »Aber, Brüderchen, zwar haben wir Menschen kein Licht – aber weißt du
denn nicht, daß wir ein Herz im Leibe haben?!«
»Du hast schon einmal davon gesprochen«, sprach der kleine Stern. »Aber ich habe dich nicht verstanden. Was ist denn das,
ein Herz? So etwas kennen wir Sterne nicht, und ich habe es nicht einmal gesehen, sooft ich auch auf die Erde hinabgeschaut
habe.«
»Ein Herz«, rief Christa ganz eifrig, »ist ein Ding, das wir in der Brust tragen, und es klopft immerzu, Tag wie Nacht, ob
wir wachen oder schlafen, es ist immer bei uns. Und wenn wir uns über etwas freuen oder etwas Gutes getan haben, so fängt
es ganz stark zu klopfen an und wird immer größer, und dann meine ich, ich kann mich vor Glück nicht lassen und muß immerzu
tanzen und singen und springen … Und
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