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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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schon mager, so war das doch noch gar nichts gegen den Schimmel. Der sah so verhungert
     aus, daß er bei jedem Schritt hin und her wankte und fast umfiel, und der Kopf hing ihm vor Entkräftung so tief zwischen den
     Beinen, daß das Maul beinahe den Schnee auf der Straße streifte.
    Als der Schlitten nun grade vor der Kirchhofstür war, blieb der Schimmel stehen, als könne er nicht mehr weiter, und so blieb
     der Schlitten auch stehen. Der Schimmel aber drehte die Augen sehr kläglich nach der Anna Barbara, daß fast nur das Weiße
     zu sehen war, der Mann aber drehte seine Augen auch nach dem Mädchen, in denen aber war das Weiße gelb vor lauter Galle.
    Nachdem der dürre Mann Anna Barbara eine Weile betrachtet hatte, fragte er mit quäksiger Stimme: »Was bist denn du für ein
     Mädchen, daß du da unter der Kirchhofstür stehst und frierst wie ein Scheit Holz im Winterwalde? Mir täte meine teure Leibeswärme
     viel zu leid, als daß ich sie so für nichts vom Ostwind wegblasen ließe.«
    Da erzählte Anna Barbara dem Mann, daß sie ein Waisenkind sei und eben die letzte Anverwandte, die Großmutter, begraben habe.
     Jetzt wolle sie in die Welt hinaus und sich einen Dienst suchen, wo sie den goldenen Taler gewinnen könne.
    »Soso«, sagte der dürre Mann und rieb sich nachdenklich seine dünne Nase mit dem Knochenfinger. »Bist du denn wohl auch fleißig
     und ehrlich und sparsam, früh auf und spät ins Bett, und vor allem genügsam im Essen?«
    Anna Barbara sagte, das alles sei sie. Da sagte der dürre Mann: »So steig auf den Schlitten. Du triffst es grade gut: Ich
     suche eine kleine Magd, die mich und meinen Schimmel Unverzagt versorgt.«
    Anna Barbara aber zögerte und fragte, wie er denn heiße und wo er wohne und ob sie bestimmt auch den goldenen Taler für ihre
     Dienste bei ihm bekommen würde.
    |83| Da antwortete der Mann: »Ich heiße Hans Geiz und wohne in der großen Ortschaft Überall. Und was den goldenen Taler angeht,
     so sollst du den bestimmt von mir bekommen, wenn du mir drei Jahre treu dienst.« Dazu lachte der Mann ganz freundlich, es
     klang aber, als ob ein Ziegenbock meckerte, und der Schimmel verdrehte die Augen so fürchterlich und wackelte so sehr mit
     seinem haarlosen Schwänzchen, daß es Anna Barbara beinahe mit der Angst bekommen hätte.
    Sie bedachte sich aber noch zur rechten Zeit, wohin sie denn sonst gehen solle und daß sie großes Glück habe, gleich auf der
     ersten Stelle den goldenen Taler zu treffen, den Mutter und Großmutter ihr Lebtage umsonst gesucht hatten.
    Sie warf also ihr Bündelchen in den Schlitten und sprang schnell hinterher. Da fuhr Hans Geiz sie böse an und schalt: »Du
     fängst ja schön an, mein gutes Schlittenholz so abzuschurren! Setze dich fein sachte hin, Holz ist eine teure Sache!« Und
     als sie traurig nach dem Kirchhof zurücksah und im Gedanken an die tote Großmutter hastiger atmete, mahnte er sie schon wieder:
     »Atme fein sachte und vorsichtig, daß du die Lunge nicht zu sehr abnützest! Du hast nur eine, und ist die hin, gibt es keine
     andere.«
    Danach rührte er mit der Peitschenschmitze den Schimmel an, und unendlich langsam hob der ein Bein nach dem andern, und unendlich
     langsam, kaum schneller als eine Schnecke, fuhren sie zum Dorf hinaus. Zuerst sah Anna Barbara den Friedhof entschwinden,
     dann fuhren sie an der Schmiede vorbei, nun am Haus des Bäckers, wo vor der Tür die Brennholzschwarten bergehoch gestapelt
     lagen – und nun waren sie zum Dorf hinaus.
    Leise fing es an zu schneien. Zuerst tanzten nur einzelne Flocken vom Himmel, aber rasch wurden es mehr und mehr, und schließlich
     fielen sie so dicht, daß sie das ganze Land verhüllten. Nicht Baum noch Haus, nicht Weg noch |84| Steg sah Anna Barbara mehr, und sie überlegte sich immer wieder, wie man bei solchem Schneetreiben denn den Weg finden könne.
    Fragte sie aber ihren neuen Dienstherrn, wo denn die große Ortschaft Überall liege, so antwortete er nur: »Übe rall !« Und der alte, verhungerte Schimmel lief immer rascher, die Kufen flogen über den knirschenden Schnee, und manchmal war
     es der Anna Barbara, als führen sie gar nicht mehr auf der Erde, sondern direkt durch die tanzenden Flocken in der Luft, und
     vom Schimmel sah sie kaum mehr als einen flüchtigen Schatten. Da wollte ihr angst werden; sie sah über den Schlittenrand und
     meinte, in einen bergetiefen Abgrund voll tanzender Flocken zu schauen, aber dann sah sie wieder ihren Begleiter an

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