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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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lächelte das Brüderchen.
    |79| Von dieser Stunde an ging es dem Brüderchen besser, und bald war es ganz gesund. Nun wurden Christa und Brüderchen die besten
     Spielgefährten, und immer lachte das Brüderchen, wenn es Christa sah, und es hat nie wieder heim gewollt zu den Sternen, sondern
     es hat ihm wohl gefallen auf dieser Erde.
    Und du und ich, mein Kind, wir haben genau solche Herzen wie Brüderchen und Christa, die sich freuen wollen. Und wenn wir
     einander froh machen, so gefällt es uns gut auf dieser schönen Erde; machen wir einander aber Kummer, so wollen wir hier nicht
     mehr weilen, und alles wird dunkel für uns, und der kleine Sternenfunke in uns mag nicht mehr brennen – daran denke, mein
     Kind.

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    |80| Geschichte vom goldenen Taler
    Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Anna Barbara und hatte weder Vater noch Mutter; die waren beide schon lange tot.
     Sondern es wuchs bei einer steinalten Großmutter auf, die war vor lauter Alter schon ganz wunderlich. Und immer, wenn die
     Anna Barbara der Großmutter etwas erzählte oder sie um etwas bat oder ihr etwas klagte, dann sagte die alte Frau nur: »Ja,
     Kind, wenn wir bloß den goldenen Taler hätten, dann wäre alles gleich in Ordnung. Aber wir haben ihn nicht, und bringen tut
     ihn uns auch keiner, und so müssen wir es eben tragen, wie es ist.«
    Und ganz gleich, was die Anna Barbara auch vorbrachte: »Großmutter, ich hab mir ein Loch ins Knie gefallen«, oder: »Großmutter,
     der Lehrer hat gesagt, ich hätt gut gelesen«, oder: »Großmutter, die Katz ist am Sahnentopf!« – die alte Frau antwortete immer
     nur: »Ja, Kind, wenn wir bloß den goldenen Taler hätten!«
    Wenn Anna Barbara aber die Großmutter drängte und fragte, was denn das für ein goldener Taler sei und wie man ihn kriegen
     könne, schüttelte die alte Frau geheimnisvoll mit dem Kopf und sagte: »Ja, Kind, wenn wir ihn einfach kriegen könnten, so
     hätten wir ihn schon! Ich bin all mein Lebtage nach ihm gelaufen und habe ihn nicht einmal zu sehen gekriegt, und deiner Mutter
     ist es auch nicht anders ergangen. Möglich, daß es mit dir anders ist, denn du bist in einer Weihnacht geboren und ein Glückskind.«
    Mehr bekam die Anna Barbara nicht zu erfahren von dem goldenen Taler, bis sich in einer kalten Winternacht die Großmutter
     in ihr Bette legte und starb. Ehe sie aber tot war, |81| setzte sie sich noch einmal auf, sah die Anna Barbara scharf an und sprach: »Wenn ich jetzt tot bin, Anna Barbara, läßt du
     mich auf dem Friedhof begraben, grad zu Häupten von dem Grab deiner Eltern. Auf keinem andern Fleck!«
    Das versprach die Anna Barbara.
    »Und wenn du mich begraben hast, so bleibst du nicht hier in unserer Hütte. Sondern du schließt sie zu und gehst hinaus in
     die Welt, und du bleibst an keinem Fleck, die Leute hätten denn dort den goldenen Taler. Um den dienst du so lange, bis du
     ihn bekommst – und wenn es zehn und wenn es zwanzig Jahre dauert. Denn du wirst doch nicht eher glücklich, bis du ihn hast.
     Versprichst du mir das?«
    Das versprach die Anna Barbara, und als sie das getan hatte, legte sich die Großmutter zufrieden ins Bett zurück und starb.
     Nun halfen der Anna Barbara die Leute aus dem Dorf, die Großmutter zu begraben, und sie bekam genau den Platz, den sie sich
     gewünscht hatte: zu Häupten ihrer Kinder. Als aber das Begräbnis vorüber war und die Leute alle nach Haus gegangen waren,
     stand Anna Barbara allein unter der Kirchhofstür, ein Bündelchen mit ihren Sachen in der Hand, und wußte nicht, wohin sie
     gehen sollte. Nach Haus konnte sie nicht wieder, das hatte sie der toten Großmutter versprochen, in die weite Welt aber zu
     gehen, davor fürchtete sie sich. Zudem war es ein eiskalter Wintertag, der Schnee lag hoch, und Anna Barbara fror schon jetzt
     wie ein magerer Schneider.
    Als sie aber so stand und nicht wußte, was sie tun sollte, sah sie einen Schlitten gefahren kommen, mit einem Schimmel davor
     und einem langen, gelbhäutigen Manne darauf; die beiden sahen so seltsam aus, daß Anna Barbara trotz Kälte und Kummer fast
     das Lachen ankam. Denn der Schlitten war nichts als eine alte, große Futterkiste, die man auf Kufen gesetzt hatte, und der
     lange, gelbe Mann darin war so mager, daß Anna Barbara meinte, sie hörte beim Rumpeln des Schlittens seine Knochen klappern.
     Sein Gesicht aber war ganz ohne Fleisch und so hohl, daß ihm der Winterwind |82| durch die Backen blies. War der Mann aber

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