Geschichten aus der Murkelei
kriegen. Aber
jetzt sieht er seiner Mutter Haus. Nur zur Mutter, denkt er … Da kommt in einer Staubwolke das Automobil mit dem Doktor gefahren.
»I du elender Bengel, schickst mich nach Drewolke, wenn ich nach Gooren will! Warte, dich krieg ich!«
Nun muß Peter gar noch schneller laufen als das Automobil; es war nur gut, daß das Haus schon nah war – sonst hätten sie ihn
gekriegt!
In der Haustür steht Peters Mutter, auf sie stürzt Peter zu. »Mutter, hilf mir, die wollen mich alle verhauen!«
»Ja, ich will dir helfen!« ruft die Mutter zornig. »Läßt mich zwei Stunden auf das Pflaumenmus warten!« Patsch! hatte er eine
Ohrfeige weg. »Wo ist das Mus –?!«
»Pott kaputt!« schreit Peter und zieht den Henkel aus der Tasche.
»Mein schöner Steinpott kaputt!« ruft die Mutter – bum! erntet Peter eine Kopfnuß. »Für fünfzig Pfennig kein Pflaumenmus!«
– zuck! klebt sie ihm eine Knallschote.
»Recht so!« schreit der Doktor. »Mich hat er nach Drewolke statt nach Gooren geschickt – darf ich auch mal?«
»Immer zu!« sagt die Mutter. »Sicher hat er wieder genuschelt.«
»Egal!« sagt der Doktor. »Da hast du von mir einen Backenstreich!«
»Mich hat er Schuft genannt!« schreit der Bettler.
»Mich von der Leiter geschmissen!« schimpft der Dachdecker.
»Mich hat er angelogen, sein Vater wär zu Haus, und dann hat er mich noch vor den Bauch gebufft!« ruft die Frau Gemeindevorsteher.
|68| »Peter!« sagt der Vater, der eben nach Haus kommt. »Frau Kaufmann Möbius hat mir grade erzählt, du hast für fünfzig Pfennig
Bonbons gekauft – wo hast du denn das Geld her?«
Ach, da hätte der Peter am liebsten ein Mäuslein sein mögen und ein Löchlein haben in der Erde, um sich zu verkriechen! Aber
daraus wurde nichts, sondern der Vater nahm den Sohn am Arm, ging mit ihm abseits, und was es da gab, das kann man sich denken.
An diesem Tage konnte der Peter auf seinem Po weder sitzen noch liegen, und im Bett mußte er auch auf dem Bauch schlafen:
Das Ende von seinem Rücken tat ihm zu weh.
Und doch war trotz aller schlechten Erfahrungen und aller Prügel der Nuschelpeter noch immer nicht ganz vom Nuscheln und Lügen
geheilt. Denn am nächsten Tage ging er in der großen Pause zum starken Alfred Thode und sagte ganz frech: »Gib mir meine Bonbons
wieder!«
Da sah ihn der starke Alfred mit schrecklichen Augen an und fragte: »Wie viele Bonbons waren es denn?«
»Hundertsechsundfünfzig«, sagte Nuschelpeter und dachte, er kriegte Bonbons.
»Weißt du was?« brummte der starke Alfred. »Ich habe all deine hundertsechsundfünfzig Bonbons aufgefuttert, und davon ist
mir so schlecht geworden, daß ich die ganze Nacht habe laufen müssen. Darum will ich dir jetzt für jeden von diesen elenden
Bonbons eine Ohrfeige geben …« Und patsch! ging es los: »Eins, zwei, drei, vier …«
»Ich will keine mehr!« schrie kläglich der Nuschelpeter.
»Noch ’ne feine mehr!« verstand der starke Alfred. »Fünf, sechs, sieben, acht …«
Da sagte der Nuschelpeter laut und klar: »Bitte, keine mehr!«, und da verstand ihn der starke Alfred und ließ ihn laufen.
Und von diesem Tage an hat der Nuschelpeter nicht mehr genuschelt.
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|69| Geschichte vom Brüderchen
Es war einmal ein kleines Schulmädchen, das hieß Christa, und es war ganz allein und hätte doch gar zu gerne ein Brüderchen
gehabt. Alle Tage ging es zur Mutter und bettelte: »Ach, Musch, kriegen wir nicht heut ein Brüderchen?«
Aber die Mutter hatte jeden Tag eine andere Ausrede. Einmal sagte sie: »Du siehst doch, Christel, ich habe heute Waschtag
– wie hätte ich da Zeit für ein Brüderchen?!« Und das nächste Mal: »Es friert heute draußen, daß sogar die Hunde den Schwanz
zwischen die Beine klemmen – da würde doch solch kleines Brüderchen sich völlig verkühlen!« Und das dritte Mal: »Vorhin habe
ich gesehen, deine Püppings liegen in ihrem Wagen wie Kraut und Rüben. Wenn du nicht einmal die besorgen kannst, wie willst
du da auf ein lebendiges Brüderchen aufpassen, Christel?«
Aus diesen Antworten merkte das Mädchen, die Mutter wollte kein Brüderchen. Da ging Christa in den Garten, setzte sich in
ihre Schaukel und schaukelte sich. Sie dachte: Beim Schaukeln ist mir noch immer etwas Gutes eingefallen. Vielleicht fällt
mir heute ein, wie ich ein Brüderchen bekomme. – Und sie schaukelte tüchtig, bis in die Zweige vom Kirschbaum hinein.
Während sie aber so
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