Geschichten von der Bibel
so daß Moses sie nicht verstehen konnte.
Und dann sah Moses, wie der andere ausholte und auf den Mann einschlug, den er im stillen seinen Freund genannt hatte. Da lief er über die Düne, umklammerte die Gelenke des Bösen.
»Was tust du!« schrie er ihn an. »Warum schlägst du ihn? Siehst du denn nicht, daß er schwach ist, daß er verletzt ist? Weißt du denn nicht, daß er mißhandelt wurde von einem der Aufseher?«
Aber was geschah? Der Mann, den Moses im stillen seinen Freund nannte, sprang vom Boden auf, stieß Moses zurück.
»Willst du ihn etwa auch umbringen? Wie du den Aufseher umgebracht hast? Was bist du für einer? Kannst du nicht sein, ohne jeden Tag einen Menschen zu töten? Sag nicht, daß du mir hilfst! Ich will deine Hilfe nicht!«
Moses war sehr verwirrt. Der Böse war kein Böser, er war der Schwager des Mannes, den er im stillen seinen Freund genannt hatte – nun nicht mehr so nannte.
»Er hat meine Schwester verstoßen«, sagte der Mann. »Darum habe ich ihn niedergeschlagen. Das wird doch wohl noch erlaubt sein!«
»Ich will seine Schwester nicht mehr haben, sie ist unrein«, sagte der Gatte.
»Sie ist unrein, ja«, sagte der Bruder, »aber sie ist ohne Schuld unrein. Der Soldat hat sie geraubt.«
»Er hat sie in sein Bett gezerrt«, sagte der Gatte.
»Sie hat sich gewehrt«, sagte der Bruder.
»Sie hat sich zuwenig gewehrt«, sagte der Gatte.
»Wenn sie sich noch mehr gewehrt hätte, hätte er sie getötet«, sagte der Bruder.
»Sie hätte sich töten lassen sollen«, sagte der Gatte.
Da holte der Bruder wieder aus und schlug seinen Schwager zu Boden.
»Seid ihr denn nicht beide Juden?« schrie sie Moses an. Und er hätte ihnen gern und ausführlich darlegen wollen, wie er die Sache sah. Aber erstens fanden die Worte nicht zu den Gedanken, und zweitens unterbrachen ihn die beiden, noch ehe er den Mund aufmachen konnte.
»Was willst du von uns?« schimpften sie auf ihn ein. »Wir wollen deine Hilfe nicht! Geht das nicht in deinen Schädel? Du bringst uns nur in Schwierigkeiten!«
»Mein Schwager muß sich vor den Ägyptern verstecken«, sagte der eine. »Du hast einen ihrer Aufseher erschlagen, sie meinen, er sei es gewesen. Du hast sein Leben ruiniert!«
»Und gehst auf den Bruder meiner Frau los«, setzte der andere nach, »nur weil er ihre Partei ergreift, was er als Bruder ja tun muß!«
»Aber ich habe dich gegen ihn verteidigt! Dich!« brachte Moses mit Mühe und Schnaufen hervor.
»Was spielt das für eine Rolle? Ich kann nicht zusehen, wie mein Schwager von einem Fremden attackiert wird!«
»Er hat dich geschlagen!«
»Na und? Schlagen ist wie Reden! Was mischst du dich ein?«
Moses betrachtete die beiden. Verwirrung war in ihren Augen. Ratlosigkeit, Ziellosigkeit, Elend standen in ihrem Blick.
»Und ihr wollt erlöst werden …«, murmelte er vor sich hin.
»Was hat er gesagt?«
»Daß wir erlöst werden wollen.«
»Wovon denn erlöst werden?«
»Keine Ahnung! Frag ihn!«
»He, du! Was spinnst du herum? Wir wollen nicht erlöst werden!«
»Nein, das wollen wir nicht! Wenn wir es wollten, wüßten wir es!«
Ohne ein weiteres Wort geht Moses davon. Er verläßt die Stadt, verläßt das Land. Er sagt niemandem, wohin er geht. Er verabschiedet sich weder von Mirjam noch von Bithja. Er weiß nicht, wohin er geht. Seine Spur verliert sich.
Pharao Malul, dessen Liebling er war, ihn wird er nie wieder sehen. Malul versank in Schwermut.
»Wo ist Moses?« waren seine ersten Worte, wenn er die Augen am Morgen öffnete. »Wo ist mein Moses, mein Glück?«
Und dann rief er nach seiner Amme, der uralten, vertrockneten, die nicht mehr schlief und nichts mehr aß und nur noch aus Geschichten bestand.
»Erzähl mir von Moses!« sagte Malul.
Und die Amme sagte: »Moses, Moses … Der ist weg. Er hat dich im Stich gelassen. Ich weiß nichts von ihm.«
»Er hat mich geliebt, wie ich ihn geliebt habe!« jammerte der Pharao.
»Niemand liebt so, wie der Pharao liebt«, sagte die Amme.
»Erzähl mir eine Geschichte von Moses!« bettelte er, und er hatte eine Stimme wie ein Kind. »Was tut er gerade? Wo ist er? Mit wem spricht er? Geht es ihm gut? Geht es ihm so gut, daß er mich vergessen hat? Geht es ihm schlecht? Braucht er meine Hilfe?«
»Ich weiß es nicht«, sagte die Amme.
»Dann frag einen Traum. Früher hast du deine Träume gefragt.«
»Ich schlafe nicht mehr«, sagte die Amme.
»Ich befehle dir zu schlafen!« zeterte Malul.
Er rief die Wachen, ließ
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