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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Hause bringen, ganz gleich, wo dein Zuhause ist. Ich habe keinen Weg. Bleib! Erzähl mir!«
    Einen Augenblick hielt die Frau inne. Dann ging sie weiter.
    Moses sah ihr nach. Im Flimmern der heißen Luft über dem Wüstenboden war ihre Gestalt kaum mehr auszumachen.
    Moses hatte sich auf seiner langen Wanderschaft angewöhnt, laut mit sich selbst zu sprechen. Diese Angewohnheit legte er bis an sein Lebensende nicht mehr ab – was ihn oft in Verlegenheiten bringen sollte.
    Laut sagte er zu sich selbst: »Sie wird sterben.«
    Er überlegte, ob er ihr folgen sollte, ob er sie mit Gewalt zum Brunnen zurückbringen und dort festhalten sollte, bis er sie vom Unsinn ihres Vorhabens überzeugt hätte.
    Dann, als er sie ganz aus den Augen verloren hatte, sagte er: »Sie möchte sterben. Kein Mensch geht allein zu Fuß in die Wüste, außer er möchte sterben.«
    Aber er selbst war ja auch einer, der allein und zu Fuß durch die Wüste gegangen war.
    Er setzte sich wieder an den Brunnen. Er wollte noch einen Tag bleiben. Hier gibt es Wasser, dachte er, ein paar Datteln werde ich auch finden, und ich habe einen schönen Gedanken, der mir die Zeit kurz macht. An Zippora dachte er, ging in seinen Gedanken noch einmal durch, was sie gesagt hatte Zippora war keine schöne Frau, und Moses, der sie so viele Stunden lang betrachtet hatte, hatte sich, als sie neben ihm lag, nicht zu ihr hingezogen gefühlt. Kein noch so flüchtiger Gedanke des Begehrens war ihm gekommen. Er war von ihnen beiden der Stärkere, und es erschien ihm als eine Menschenpflicht, daß der Stärkere den Schwächeren in der Wüste beschützt. Aber wie sie dann mit ihm gesprochen hatte, das hatte ihn beeindruckt. Und als er sich nun ihre Worte und den Klang ihrer Stimme in der Erinnerung nachschuf, wuchs der Eindruck noch, und aus dem wenigen, was seiner Einbildungskraft zur Verfügung stand, baute er ein herrliches Bild.
    »Nie habe ich jemanden getroffen, dessen Stimme so voll Selbstgewißheit war«, sagte er zu sich.
    Es tat ihm gut, laut über Zippora zu sprechen, es war ihm dabei, als spüre er ein wenig ihre Gegenwart.
    »Sie hat mir nicht gedankt. Und warum nicht? Ich habe getan, was jeder Mensch mit Gewissen tun muß. Nur schwache oder dumme Menschen danken für das, was ihnen zusteht. Für einen starken und klugen Menschen beginnt der Dank erst dort, wo er etwas bekommt, was ihn zwar freut, was er aber zum Leben nicht dringend nötig hat. Sie ist ein starker und kluger Mensch. Hätte ich ihr etwas gegeben, was sie nicht nötig hatte, dann hätte sie mir gewiß gedankt. Aber ich besitze nichts als das Notwendige, und vom Notwendigen habe ich ihr so viel gegeben, wie ich entbehren konnte, nicht mehr und nicht weniger. Also steht mir kein Dank zu. Ich habe ihr das Leben gerettet, das ist wahr. Aber für das Leben braucht der Mensch niemandem zu danken außer Gott.«
    Das waren seine Gedanken. Er tat, als wären es ihre. Er dachte: Ich kann in ihr Herz horchen. Ihre Gedanken sind schön, ihr Herz ist schön. In seinen Gedanken zog das Schöne das weniger Schöne an sich, und bald dachte er an Zippora als an eine schöne Frau. Und er vermißte sie. Und er begehrte sie.
    Dann war wieder Abend geworden, zwei Tage dauerte nun schon die Rast des Wanderers bei dem einsamen Brunnen in der Wüste. Er schlief ein und schlief die ganze Nacht und wurde von Lärm geweckt.
    Gekreische und Geblöke, Gelächter und Gekicher.
    Moses verkroch sich in das Gebüsch. Das wucherte auf der kleinen Oase in einer Üppigkeit, als wolle es der Ödnis rundherum einen Beweis für die Unbesiegbarkeit des Lebens geben. Aus seinem Versteck heraus beobachtete er eine Gruppe junger Frauen und Männer, die eine Schafherde zum Brunnen trieb. Unter Gelächter wurde der Kübel in den Brunnen geworfen, Wasser wurde in die Steinrinne gegossen, die für die Tiere neben dem Brunnen bereitstand. Die jungen Männer steckten ihren Kopf in den Eimer, prusteten glücklich und voll Übermut, sie machten hohle Hände und gaben den jungen Frauen zu trinken. Dann wurden Küsse ausgetauscht und Umarmungen.
    Moses betrachtete die jungen Menschen von seinem Versteck aus, und weil die Liebe in ihm war, sah er in ihnen Liebespaare, und er billigte alles, was sie taten.
    Er sagte zu sich: »Ich will in meinem Versteck bleiben, denn es würde mich und sie nur verlegen machen, wenn ich jetzt auftauchte. Es sind bestimmt anständige Leute, und darum würden sie mir verbieten, allein und zu Fuß in die Wüste zu

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