Geschichten von der Bibel
haben?«
»Meine Mägde haben mir erzählt, in welchen Tönen du von mir gesprochen hast, damals, als du mich noch nicht kanntest«, sagte Zippora zu Moses. »Jetzt kennst du mich und sprichst fast gar nicht mehr mit mir.«
Moses gab keine Antwort. Er wollte, aber er konnte nicht. Er wollte ihr ein freundliches Wort sagen, aber er konnte nicht. Ich muß ihr antworten, dachte er, und es muß eine gute Antwort sein, eine, die ihr nicht weh tut und dennoch die Wahrheit enthält. Aber erstens war es bereits so, daß fast jedes Wort, das er sagte, Zippora weh tat, zweitens wußte er selbst nicht, was die Wahrheit war zwischen ihr und ihm.
Und so überlegte er und überlegte er.
Bis Zippora sagte: »Ich sehe, du willst mir nicht antworten. Ich werde dich nie wieder etwas fragen.«
Und er wollte ihr sagen, nein, ich will dir schon antworten, ich will dir ein freundliches Wort sagen, aber ich muß erst nachdenken, und auch über das, was du eben gesagt hast, muß ich erst nachdenken, du redest schneller, als ich denken kann, laß mir Zeit, Zeit bis morgen, dann antworte ich dir. Aber für Zippora mußte es so aussehen, als wolle er auch auf ihr zweites kein Wort sagen, und sie sagte ein drittes und meinte, daß sie nun endgültig ihr letztes sagte.
»Dann muß ich also davon ausgehen, daß wir beide in Zukunft nebeneinander leben wie zwei Steine in der Wüste?«
Und wieder bekam sie keine Antwort.
Mein Leben vergeht, dachte Moses, und es ist so leer, wie es immer gewesen war, nur weiß ich inzwischen, daß es leer ist, und das ist das größte Unglück.
Er half sich mit Vergessen. Er vergaß, was gestern war und was vorgestern gewesen war, und so glitt ein Jahr dahin wie ein Tropfen auf einem wächsernen Tuch. Ohne eine Spur zu hinterlassen.
Eines Tages trieb Moses die Schafe des Reguel auf die Weide. Aber die Weide war verdorrt, und er konnte die Herde nicht beieinander halten. Jedes Schaf suchte verzweifelt und für sich nach einem grünen Halm. Hilflos stand Moses in der Sonne und blickte um sich, und er sah nur Steine und Sand und dürres Gesträuch.
»Die Schakale werden die Schafe holen«, sagte er zu sich selbst. »Die Schafe sind wie meine Gedanken, nichts hält sie zusammen.«
Bald hatten sich die Schafe so weit von ihm entfernt, daß er sie nicht mehr sehen und hören konnte. Ihm war, als wäre er das einzig Lebendige weit und breit.
»Hier ist es wie in meinem Herzen«, sagte er, und seine Stimme war alles, was er hörte. »Auch in meinem Herzen ist nichts als ich selbst, und weil niemand für sich selbst sein kann, ist mein Herz so leer wie die Wüste.«
Da beschloß er, alle Verantwortung fahren zu lassen.
»Ich will für nichts mehr Sorge tragen«, sagte er laut. »Für meine Söhne nicht, für meine Frau nicht, für die Herde meines Schwiegervaters nicht. Nicht einmal um mich selbst will ich mehr sorgen.«
Und ihm fiel gar nicht auf, daß er in all den Jahren, seit er am Hof von König Reguel war, genau so gelebt hatte – ohne Verantwortung für die anderen und Sorge um sich selbst.
Er drehte sich um und ging.
Nicht anders als damals, als ihn seine Schwester Mirjam gebeten hatte, bei ihr zu bleiben und gemeinsam mit ihr für die Befreiung des Volkes Israel von der ägyptischen Knechtschaft zu kämpfen. Auch damals war er gegangen, hatte sich umgedreht und war gegangen. Ohne ein Wort.
Moses ging in die Wüste hinein. Er hatte kein Ziel. Wenn ein Baum da ist, dachte er, dann werde ich sagen, er war mein Ziel. Ein wenig Schatten will ich vom Leben, sonst nichts.
Er sah einen Baumstamm, der ragte in den weißen Himmel. Seine Krone hatte ein Sturm schon vor langer Zeit abgebrochen und über die Wüste gefegt, bis nichts mehr von ihr übrig war als Staub. Der Stamm war bleich wie Silber, er warf einen schmalen Schatten, aber der genügte, um einen Mann vor der glühenden Sonne zu schützen.
Moses setzte sich in den Schatten, lehnte sich gegen den Stamm, trank aus seinem Wasserschlauch, schloß die Augen und sprach laut in die leere Wüste hinein.
»Ich will nichts. Solange ich zufrieden damit bin, daß ich nichts will, werde ich hier sitzenbleiben. Und wenn es mir bis zu meinem Ende genügt, nichts zu wollen, dann werde ich hier eben sterben.«
So saß er, er wußte nicht, wie lange, schlief nicht, war aber auch nicht wach.
Da hörte er vor sich das Knistern eines Feuers. Er öffnete die Augen. Was er sah, war durchaus nicht ungewöhnlich. Ein verdorrter Dornbusch brannte in der Sonne, keine
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