Geschichten von der Bibel
dir. Wenn ich zu einem Menschen komme, darf nichts in ihm sein. Denn ich bin ein eifersüchtiger Gott, und ich fülle den ganz aus, zu dem ich komme, und ich dulde keinen anderen Gedanken neben mir.«
Dann weiß er wohl auch, daß ich mir vorhin um meine Bequemlichkeit Gedanken machte und mich auf meine Fersen setzte, damit meine alten Knie ein wenig entlastet werden, dachte Moses.
»Ja, das weiß ich«, sagte die Stimme. »Aber warum sollte mich das stören? Ich verlange Gehorsam und nicht Unbequemlichkeit.«
»Und was soll ich tun?« fragte Moses.
»Mach dich auf den Weg nach Hause!« sagte Gott.
»Wo ist mein Zuhause?«
»Das Volk Israel ist dein Zuhause«, sagte Gott. »Mein Volk Israel stöhnt noch immer unter der Fron des Pharaos. Mein Volk!« – Moses glaubte, in der Stimme Gottes etwas Schwärmerisches mitzuhören. – »Ja, es ist mein Volk. Ich bin dem Abraham erschienen, mit ihm saß ich vor seinem Zelt, mit ihm habe ich gesprochen. Und mit dem Jakob habe ich eine Nacht lang gekämpft, er hat mich festgehalten, und Josef, Josef war mein Liebling.«
»Wie lange muß ich noch knien?« unterbrach Moses. »Es ist Mittag, und auf keinem Platz der Erde ist es heißer als hier, und ich bin ein alter Mann, und der Rücken tut mir weh, und die Knie tun mir weh …«
»Du bist kein alter Mann«, dröhnte die Stimme. »Abraham war mehr als dreimal so alt wie du, als er den schwersten Gang seines Lebens antrat, und als Jakob zu Fuß nach Ägypten ging, um seinen Sohn Josef wiederzusehen, war er immerhin zweimal so alt wie du.«
»Darf ich mich wenigstens in den Schatten des Baumstrunks knien?« fragte Moses.
»Nein«, sagte Gott.
Aber auch Gott glaubte inzwischen, dieses Gespräch werde noch eine Weile dauern, deshalb machte er eine Wolke direkt über dem Haupt seines Knechts, die legte einen kühlen Schatten über ihn.
»Gut«, sagte Moses. »Ich soll also nach Ägypten ziehen, zum Volk Israel, das noch immer unter der Fron des Pharaos leidet. An diesem Punkt waren wir stehengeblieben.«
»Sprich zu deinen Leuten! Sag ihnen, ich bin dir erschienen und habe dir den Auftrag gegeben, das Volk Israel aus Ägypten heraus in ein Land zu führen, in dem Milch und Honig fließen.«
»Ja, aber«, sagte Moses, »wie soll ich das machen? Wie soll ich zu den Leuten sprechen? Was soll ich ihnen genau sagen? Im Detail. Gut, angenommen, ich sage, ich bin Moses, Gott hat mich zu euch geschickt, werden sie dann nicht fragen, welcher Gott? Und wenn ich antworte, euer Gott, der mit dem Namen Ich-bin-der-ich-bin, werden sie dann nicht fragen, warum schickt er dich erst jetzt, warum hat er so lange gewartet, warum hat er uns so lange leiden lassen? Hätte er uns nicht schon vor Jahren einen schicken können, der uns erlöst? Die Mütter werden die Bilder ihrer Kinder hochhalten, die unter dem Terror des Pharaos gestorben sind. Gibt er uns unsere Söhne und Töchter wieder, werden sie fragen. Und die Greise werden fragen: Gibt er uns unsere Kindheit und Jugend wieder, die uns in der Fronarbeit genommen wurden? Was antworte ich ihnen?«
Darauf gab Gott dem Moses keine Antwort. Das Feuer loderte weiter, zehrte am Nichts. Die Wolke über dem Haupt des Moses verfinsterte sich, kleine Blitze zuckten auf, kleine Donner grollten.
Ich weiß schon, dachte Moses bei sich, ich weiß schon, es wird ihm ähnlich ergehen wie mir, wenn Zippora mich etwas fragt. Er wird sich denken: Ich muß ihm eine Antwort geben, und es muß eine gute Antwort. sein, aber ich muß erst nachdenken. Warum sollte es Gott anders ergehen als mir, dachte Moses, ich will ihm also Zeit lassen.
Und so wartete Moses, den Blick auf den steinigen Wüstenboden gerichtet. Er saß auf seinen Fersen, weil das bequemer war, aber inzwischen war auch das unbequem geworden, und so rutschte er mit seinem Hintern vorsichtig zur Seite, so daß er am Ende neben seinen Waden saß.
Endlich schien ihm doch genug Zeit vergangen zu sein. Schon kam ihm wieder der Gedanke, er bilde sich alles nur ein, das Gespräch und den brennenden Dornbusch, und in Wirklichkeit sei er ganz allein in der Wüste, allein mit seinem leeren Herzen. Er blickte auf und sah, daß das Feuer immer noch brannte.
»Also gut«, sagte er, »angenommen, die Leute stellen diese Fragen gar nicht. Angenommen, sie stellen überhaupt keine Fragen. Kann ja sein. Zum Beispiel, weil sie sich gar nicht für das interessieren, was ich ihnen predige. Was dann? Bist du sicher, daß sie dich überhaupt noch kennen?«
Da
Weitere Kostenlose Bücher