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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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zwanzig Schritte von ihm entfernt. In dieser Hitze kam es immer wieder zu Selbstentzündungen. Eine blinkende Einlassung in einem Stein konnte wie ein kleiner Brennspiegel wirken, und schon fing das ausgetrocknete Geäst Feuer.
    »Gut«, sagte Moses zu sich, »ich werde hier sitzenbleiben, bis der Dornbusch abgebrannt ist, dann werde ich zurückgehen und die Tiere zusammensuchen.«
    Aber der Dornbusch brannte nicht ab. Als bekäme das Feuer aus der Erde immer neue Nahrung, loderten die Flammen immer weiter. Da erwachte die Neugierde in Moses, er wollte das Feuer untersuchen.
    Er machte ein paar Schritte auf den brennenden Dornbusch zu. Da hörte er eine Stimme, und er konnte nicht sagen, woher sie kam.
    »Moses!« rief diese Stimme. »Geh nicht weiter! Du betrittst heiligen Boden. Zieh deine Schuhe aus! Knie dich nieder!«
    »Wer spricht zu mir?« fragte Moses.
    Ganz leise hatte er es gesagt, denn der erste Schrecken war ihm in die Kehle gefahren. So leise hatte er gesprochen, daß es niemand verstehen hätte können, schon gar nicht einer, der nicht zu sehen war.
    Aber wer auch immer zu Moses sprach, er hatte seine Frage verstanden.
    »Weißt du wirklich nicht, wer ich bin?« sagte die Stimme.
    »Zeig dich«, sagte Moses, »dann weiß ich es vielleicht.«
    »Niemand sagt mir, was ich tun und lassen soll«, herrschte ihn die Stimme an. »Zieh deine Schuhe aus, und knie nieder. Ich wiederhole: Du stehst auf heiligem Boden.«
    Inzwischen war Moses mehr neugierig als eingeschüchtert. Er dachte: Es kann an eines Mannes Stolz nicht kratzen, wenn er in der Wüste seine Schuhe auszieht und niederkniet, zumal es ja niemand sieht. Er dachte: Das Ganze ist leicht zu erklären, mein Kopf wird aus dem Schatten gerutscht sein, die Sonne wird meinen Geist etwas verwirrt haben, alles ist Einbildung. Gegen eine Einbildung zu revoltieren aber ist lächerlich, jedenfalls in meinem Alter. Also schlüpfte er aus seinen Sandalen und kniete sich in den Staub.
    »Nun aber sag mir, wer du bist!«
    »Ich bin dein Gott«, sagte die Stimme.
    Moses starrte in die Flammen, die aus dem Dornbusch schlugen.
    Er fragte: »Wer ist mein Gott?«
    »Ich habe dich auserwählt, weil ich dich liebe«, sagte die Stimme. »Darum will ich Nachsicht mit dir haben. Keinem anderen würde ich eine solche Frage verzeihen. Hör auf, in die Flammen zu starren. Es schadet erstens deinen Augen, zweitens wirkt es wenig demütig, ich aber fordere Demut von den Menschen.«
    Da senkte Moses seinen Blick.
    »Ich habe nie einen Gott gehabt in meinem Leben«, sagte er. »Darum habe ich diese Frage gestellt. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
    »Ich war immer da«, sagte die Stimme. »Ich hab dich nie verlassen, in keinem Augenblick deines Lebens. Ich bin, der ich bin, und ich bin immer da. So wurde ich von deinen Vätern und Vorvätern genannt.«
    »Ich weiß nicht einmal mit Sicherheit, wer meine Väter und Vorväter sind«, sagte Moses. »Ein loses Stück bin ich. Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre.«
    »Als dich die Menschen, zu denen du gehörst, brauchten, bist du davongelaufen.«
    »Bist du der Gott, von dem mir meine Schwester Mirjam vor vielen Jahren gesprochen hat?«
    »Der bin ich.«
    Moses erinnerte sich an jene Nacht vor so vielen Jahren, als er zu Mirjams Gott hatte beten wollen. Er wird mir nicht antworten, hatte er damals gedacht und hatte nicht gebetet, weil er nicht denken wollte, es gibt ihn nicht, weil er nicht vor seine Schwester hintreten und sagen wollte, es gibt euren Gott nicht, euer Hoffen und Warten sind vergebens, und euer Schreien ist umsonst. Denn, so hatte er damals gedacht, es ist eine Sünde, den Schwachen zu entmutigen. – Und nun, da er auf dem heißen Wüstenboden kniete und die Stimme Gottes zu ihm sprach, spürte er neben Neugierde und Furcht auch Empörung in sich.
    »Was willst du von mir?« fragte er.
    »Daß du mir dienst«, sagte die Stimme Gottes.
    Moses setzte sich auf seine Fersen, denn er meinte, das Gespräch würde wohl noch länger dauern, und es war ihm bequemer so.
    »Warum sprichst du erst heute zu mir?« fragte Moses. »Warum nicht schon vor zehn Jahren oder vor zwanzig Jahren oder vor dreißig Jahren?«
    »Da warst du noch nicht bereit, mir zu dienen.«
    »Und ausgerechnet heute bin ich bereit dazu?«
    »Nie in deinem Leben«, sprach Gott zu Moses, »waren dein Herz, deine Seele und dein Verstand so leer wie vorhin, als du an dem dürren Baumstrunk lehntest. Auf diesen Augenblick habe ich gewartet. Nichts mehr war in

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