Geschichten von der Bibel
aus der Hand, benahm sich wie der Gastgeber, schenkte zuerst dem König nach und dann sich selbst.
»Er hat getan, was jeder Mensch mit Gewissen tun muß«, sagte Reguel. »Ist es nicht so, daß Dank erst dort verlangt werden darf, wo einer etwas geschenkt bekommt, was er zum Leben nicht dringend nötig hat?«
»Nein, ganz im Gegenteil«, sagte Moses. »Nur ein schwacher und dummer Mensch dankt für das, was er zum Leben nicht dringend nötig hat. Für einen starken und klugen Menschen beginnt der Dank erst beim Leben selbst. Angenommen, der Retter deiner Tochter tauchte bei dir auf und …«
»Wieviel«, unterbrach ihn König Reguel schnell, »wieviel würdest du ihm an meiner Stelle geben?«
Moses tat, als ob er lange überlegte.
Dann sagte er: »Die Hälfte von allem, was ich besitze, und nicht eine Münze mehr und nicht eine Münze weniger.«
Da mußte König Reguel zweimal kräftig schlucken.
Mit etwas belegter Stimme sagte er: »An so etwas in dieser Richtung habe ich auch gedacht. Leider, leider weiß ich nicht, wer dieser Mann ist.«
Weil die Regeln der Gastfreundschaft es so verlangten, wurde Moses aufgefordert, ein paar Tage zu bleiben. Und so kam es, daß er Zippora traf. Und sie erschien ihm noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte.
»Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe«, sagte er.
Sie blickte ihn lange an, sehr lange, sagte nichts, blickte ihn nur an. Er konnte in ihrer Miene nicht lesen, aber gerade das mochte er ja an ihr, er mochte es, daß ihr Gesicht nicht zeigte, was ihr Herz fühlte, mochte, daß man schon in ihr Herz schauen mußte, wenn man wissen wollte, was sie fühlte, und er meinte, er könne das.
»Gut«, sagte sie endlich. »Ich will für dich sein, was du in mir siehst.«
Und damit waren sie sich einig.
Zippora führte Moses zu ihrem Vater und sagte: »Er ist der Mann, der mir das Leben gerettet hat. Ihn will ich heiraten.«
»Ich habe es befürchtet«, sagte Reguel.
Er setzte ein zufriedenes Lächeln auf.
»Ich bin glücklich«, sagte er zu Moses. »Du bist der Retter und der Bräutigam. Als ersterer ist dir die Hälfte meines Besitzes versprochen, als zweiterer die Mitgift einer Königstochter. Ich aber werde dich noch reicher beschenken. Was ich dir schenken werde, ist mit Gold nicht aufzuwiegen. Komm mit!«
Und Reguel führte Moses in den Garten hinter seinem Zelt.
Dieser Garten war der ganze Stolz des Königs, und er war berühmt im weiten Land. Hier wuchsen alle Blumen, die es gab, und alle trugen ihre Blüten und mischten ihre Düfte. In den Ästen nisteten alle Vögel, die es gab, und sie zwitscherten und sangen und pfiffen und mischten ihre Stimmen zu einer Symphonie. Alle Arten von Erde lagen in den Beeten, und in den kleinen Teichen schwammen Fische, die glitzerten wie Edelsteine.
»Als ich König wurde«, sagte Reguel, »erzählte mir ein alter Mann vom Anfang aller Dinge. Es war die schönste Geschichte, die mir je erzählt wurde. Am Anfang habe Gott einen Garten gemacht, und in dem Garten lebte das erste Menschenpaar. Er hieß Adam, sie hieß Eva. Der Garten soll so schön gewesen sei, erzählte der Mann, daß jeder Versuch, ihn zu beschreiben ein böser Frevel sei. Ich war ein junger Mensch damals, und ich war begeistert, und die Erzählung vom Paradies nahm mich gefangen, und ich sagte: Ist es denn auch ein Frevel, wenn man diesen Garten nachbauen will? Da sagte der alte Mann, das wisse er nicht, diese Frage sei ihm noch nie gestellt worden, er meine, es sei kein Frevel, sondern eher ein Blödsinn. Und ich sagte: Einen Blödsinn will ich gern machen. Und dann habe ich angefangen, den Garten Eden nachzubauen. Ich ließ mir alle Vögel der Welt kommen, besorgte alle Blumen, alle Erde, breitete Beete aus, legte Teiche an.«
Inzwischen waren Moses und Reguel in der Mitte des Gartens angelangt. Dort wuchs auf einer runden Wiese ein kleiner, schlanker Baum.
»Als ich den Garten fertig gebaut hatte«, erzählte Reguel weiter, »zeigte ich ihn dem alten Mann. Und mein Garten gefiel ihm. Aber dann sagte er: Es fehlt etwas. Was fehlt?, fragte ich. In der Mitte des Paradieses stand der Baum der Erkenntnis, sagte der alte Mann. Ohne diesen Baum wäre das Paradies kein Paradies gewesen.«
Moses sah, daß es kein gewöhnlicher Baum war, sondern eigentlich nur ein Stab, der in der Erde steckte, aber auch kein gewöhnlicher Stab, sondern einer, der Früchte trug, aber keine gewöhnlichen Früchte, sondern Edelsteine.
»Hast du jemals einen
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