Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
und er schaffte es nicht, gleich nach der Geburt aufzustehen, um seiner Mutter ein Geschenk zu suchen.
    »Was ist dieser wert?« fragte Eva ihren Mann Adam. »Er ist so leicht, der Sturm wird ihn davonwehen, und seine Hände sind so zart, er wird den Boden damit nicht umgraben können.«
    »Vielleicht wird ihn der Wind vor sich hertragen«, sagte Adam. »Dann wird Abel ein guter Jäger werden.«
    Allmählich erlosch bei Adam und Eva die Erinnerung an das Paradies, es blieb eine Ahnung zurück, wie wir sie von unserer frühen Kindheit haben, eine glückliche, verschwommene Ahnung, in der wir uns selbst kaum begreifen. Die Menschen waren da, und sie waren eine kleine Familie. Ihr Leben war hart, sie teilten sich die Arbeit auf.
    Kain arbeitete zusammen mit seiner Mutter auf dem Feld, sie bereiteten Ackerboden und bearbeiteten ihn. Sie säten, jäteten, ernteten. Ihre Hände waren braun wie die Erde, die Fingernägel so hart wie kleine Schaufeln.
    Abel ging mit seinem Vater auf die Jagd. Aber was verstanden sie schon von der Jagd! Sie liefen hinter den Tieren her. Und wenn sie ein Tier erwischten, dann war das Glück. Abel war ein guter Läufer, wie Adam vorausgesagt hatte. Aber die Tiere waren schneller. Adam und Abel warfen Steine nach den Tieren. Aber wenn sie eines trafen, dann war das Zufall.
    Die Jagd war Glück und Zufall. Wenn sie Fleisch mit nach Hause brachten, dann stammte es von einem kranken Tier, das nicht mehr weiter konnte und liegengeblieben war. Oder sie nahmen mit, was ein Löwe übriggelassen hatte.
    Eva sagte: »Was ihr macht, ist Zeitverschwendung.«
    Kain sagte: »Und es ist gefährlich.«
    Kain liebte seinen Bruder Abel, und er machte sich Sorgen um ihn. Der Mensch war unfertig. Er machte Fehler. Er mußte lernen. Er war ein Versager. Aber ein lernfähiger Versager. Das war so schlecht nicht. Es wird sich herausstellen, daß es nichts Besseres gibt …
    Abel war ein kluger junger Mann. Aber stark war er nicht. Und er hatte einen Hang zum Nichtstun. Er schlief länger als die anderen, und manchmal saß er einfach nur da. Mit den Händen in der Erde wühlen, das tat er nicht gern. Die Nägel brachen ab, die Haut zerriß und blutete. Manchmal saß er einfach nur da und starrte vor sich hin.
    »Tu etwas!« sagte dann seine Mutter.
    »Tu etwas!« sagte auch sein Vater.
    »Gleich tu ich etwas«, sagte Abel. »Gleich. Einen Augenblick noch. Dann tu ich etwas. Dann tu ich bestimmt etwas. Ich bin bloß noch nicht fertig.«
    »Womit bist du noch nicht fertig?« fragte sein Bruder Kain.
    »Ich weiß nicht, was es ist«, sagte Abel. »Ich muß nachdenken.«
    »Laßt ihn«, sagte Kain zu den Eltern. »Abel denkt nach.«
    Ja, Kain liebte seinen Bruder. Er bewunderte ihn. Er verteidigte ihn. Er machte sich Sorgen um ihn.
    »Was ist eigentlich Nachdenken?« fragte Kain.
    »Vielleicht ist Nachdenken auch eine Art von Arbeit«, sagte Abel.
    »Man sieht aber nichts.«
    »Die Arbeit ist innen«, sagte Abel.
    »Was immer es auch ist«, sagte Kain. »Du schwitzt dabei nicht. Gott aber hat gesagt, wir sollen unser Brot im Schweiß unseres Angesichts essen. Er wird es nicht gern sehen, wenn du einfach nur so dasitzt.«
    »Ich schwitze schon«, sagte Abel. »Aber ich schwitze innerlich.«
    »Laßt ihn«, sagte Kain zu den Eltern. »Er schwitzt schon, nur innerlich.«
    Adam war fleißig, Eva war fleißig, am fleißigsten war Kain. Sie hatten keine Zeit zum Nachdenken. Nicht einmal über das Nachdenken dachten sie nach. Eva meinte, Abel sei krank. Aber er war nicht krank.
    »Er ist ein guter Jäger«, sagte Adam zu Eva. »Du solltest ihn sehen.«
    »Dazu habe ich keine Zeit«, sagte Eva.
    Eines Tages, als Abel wieder einmal mit seinem Vater auf der Jagd war und sie erschöpft im Schatten des Waldrands saßen, weil sie wieder einmal hinter einer Herde Antilopen hergerannt waren, aber keine Beute gemacht hatten, zeigte Abel mit der Hand zum Himmel und sagte: »Da sind sie wieder.«
    »Wer ist dort?« fragte Adam.
    »Die Vögel«, sagte Abel.
    »Die erwischen wir noch weniger als die Antilopen«, sagte Adam. »Wir können vielleicht nicht besonders schnell rennen, aber fliegen können wir schon gar nicht.«
    »Immer wenn wir ein krankes oder ein totes Tier gefunden haben«, sagte Abel, »waren die Vögel am Himmel, und sie waren genau über dem Tier.«
    »Weil sie sich eben auch ihren Teil holen wollen«, erklärte Adam seinem Sohn. »Und weil sie besser sehen als wir und von dort oben den besseren Überblick

Weitere Kostenlose Bücher